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Urenkeln! Geschlechter auf Geschlechter sind entstanden und vergangen wie eine
Blume des Feldes, aber der Alte ist im Sturme der Jahrhunderte unerschüttert
geblieben.
Was für Geschichten könnte manche Eiche erzählen, würde ihr die Rede
verliehen! Die Eiche, von deren Holze der alterthümliche Schrank und der
unverwüstliche Tisch, den du von deinen Großeltern üͤberkommen hast, gearbeitet
wurde, sie hat vielleicht noch die alten heidnischen Sachsen, deine Stammväter,
unter ihrem Schatten lagern sehen, ihrem tapferen Streite mt den mächtigen
Franken zugeschaut und sich altdeutscher Große und Herrlichkeit gefreut wenn
sie dem nervigen Arme des kriegslustigen Jünglings einen festen Zweig dar⸗
reichte zum Stiel für die wuchtige Streitari
Bei unsern heidnischen Vorfahren war dieser Königsbaum dem mächtigen
Donnergott Thor geheiligt, der im zackigen Blitz und rollenden Donner sich
den Sterblichen offenbarte. Der heilige Eichenhain durfte nicht von Unein
geweihten, sondern nur vom opfernden Puester betreten werden, und wo eine heilige
Eiche stand, würde keines Menschen Hand gewagt haben, sie ihres Laubes oder
ihrer Zweige zu berauben oder gar umzuhauen. Dieses Recht hatte allein der
aus der Gewitterwolke zerschmetlernd niederfahrende Wetterstrahl ihres Gottes
Die alten Deutschen, obwohl sie Heiden waren hatten doch ein nicht minder
feines Gefühl für das Leben und Weben der unsichtbar in der Natur waltenden
Gotteskraft als wir, ihre christlichen Nachkommen. Von gemauerten, künstlich
erxbauten Tempeln wußten sie nichts; sie fanden die heilige Stätte für ihre
Gottesverehrung in jenen von Menschenhänden unberührten, durch göttliche
Allmacht erbauten Eichwäldern; dort, im geheimnisvollen Dunkel und in feiler⸗
licher Stille vernahmen sie das leise Wehen der Gottheit. — In dem heiligen
Dunkel der deutschen Eichenwälder saßen einst die Priesterinnen unsrer Vater
und lauschten dem prophetischen Rauschen der Blätter, um der harrenden Menge
den Ausspruch der Götter zu verkünden. Hier barg man auch die geweihten
Fahnen und holte sie mit Ehrfurcht hervor, wenn der Schlachtruf in den Gauen
wiederhallte und die Tapfern aufrief zum Streit. Und wer dann muthig ge—
fochten und den Sieg errungen hatte, den krönte ein Kranz von Eichenlaub,
und diese Blätterkrone galt mehr als eine goldene Fürstenkrone. Desgleichen,
wenn die alten Deutschen über Krieg oder Frieden berathen wollten, so ver—
sammelten sie sich nicht zwischen den vier engen Wänden des Hauses sondern
sie kamen zusammen in einem großeren und schöneren Saale, dessen Boden ein
grüner Teppich von Gras und Waldblumen, und dessen Säulen die hohen
Eichbäume waren.
Jetzt ist dieses alte, tapfre und starke Geschlecht deutscher Männer aus
den Wäldern geschwunden, aber noch heute wie vor einem Jahrtausend hebt
mit kräftigem Wuchse die Eiche ihr stolzes Haupt in die Luft, und herrliche
Eichwälder sind noch immer unsers schönen Vaterlandes schönste Zier.
Wie ein tapfrer Krieger, der nicht von seinem Platze weicht, steht die
Eiche da, gehalten von kräftigen Wurzeln, die eben so stark sind, als die mäch—
tigen Aeste und Zweige. Darum mag der Sturm toben, wie er immer will,
der Eichbaum bietet ihm trotz und rührt sich nicht. Auch seine Rinde ist
eisenfest und so stark, daß sie den schwersten Hieben der Art lange widersteht.
So stark und fest das Holz, so schon ist der Schmuck der großen, zierlich in
Wellenlinien ausgezackten, glänzend grünen Blätter, die wiederum alles andre
Laub an Ausdauer und Festigkeit übertreffen, und obschon welk geworden, doch
den Winter hindurch bis zum Frühling ausharren, wo das neue, junge Laub
sie verdrängt.