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Bedürfnisse aller Art ohne eine Vergütung geliefert werden; was aber
durchaus bezahlt werden mußte, das bestrift man durch Assignaten (spr.:
Assinjäten) ein Papiergeld, das sehr bald seinen Wert gänzlich verlor. Die
eroberten Länder wurden mit Millionen solcher Assignaten überschwemmt
und die meisten wohlhabenden Familien dadurch oft ganz zugruude ge⸗
richtet. Überall herrschte ein sehr trauriger Zustand. Händel imd Gewerbe
stockten ganz, und wie konnte es auch anders sein, da die eigentliche Pulsader
alles Verkehrs, der Rhein, des Reiches Grenze bildete, und Zollwächter
überall strenge Wache hielten. Durch die Friedensschlüsse aber, die Frankreich
Deutschland äuferlegte, verschwanden die meisten geistlichen Gebiete und freien
Städte von der Karte Deutschlands, und das alte Deutsche Reich brach morsch
Zzusammen. Größere Schande, größeres Unglück hatte selbst der Westfälische
Friede einst nicht gebracht Keine deutsche Macht, von der größten bis zur
kleinsten, war ohne Schuld geblieben. Alle hatten nach denselben Grundsäten,
wie sie die französische Revolution gelehrt, nach Raub und Gewalttat ihre
Hände ausgestreckt Und das deutsche Volk? Es sah in stumpfer Teil—
nahmlosigkeit das Deutsche Reich gestürzt, das Vaterland zerstückt, die Grenzen
geschmälert. Das Unglück, seit Jahrhunderten kein Vaterland gehabt zu
haben, ward nun schmerzlich an ihm offenbar. Aber noch schien das niemand
zu fühlen. Es bedurfte noch härterer Schläge, und Bonaparte ward die
eherne Geißel in der Hand Gottes, um sie Leichlich üͤber uns zu verhängen.
25. Aus der Zeit der Not.
Paulick.
Aus Scharf, Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten.
Mit dem Frieden von Tilsit (1807) begann für Preußen und Deutsch—
land ein Zeitabschnitt tiefster Herabwürdigung. Preußen hatte alle Länder
westlich der Elbe sowie die polnischen Gebiete mit Ausnahme Westpreußens,
abtreten müssen, so daß ihm nur 2800 Quadratmeilen mit 41 Millionen
Einwohnern blieben, durfte sein Heer nicht über 42000 Mann bringen und
mußte 120 Millionen Taler Kriegsschulden bezahlen. War ihm also somit
wohl ein Schein von Selbständigkeit geblieben, so drückte doch das Joch des
Siegers gewaltig. Der Kern der alten preußischen Armee, mehr als
15000 Mann, lag noch kriegsgefangen bei Nauch (spr.: Nangßi). Der
Staat hatte kaum 131 Millionen Taler zur Verfügung. Mitten im
Frieden standen 160060 Franzosen in den Festungen des Landes und in
großen Lagern über das ganze Staatsgebiet verteilt, Ostpreußen allein aus—
Pnommen. Uberall, wo sich Napoleons Truppen befanden, wurden die
Staatseinkünfte für Frankreich in Beschlag genommen. Es schien den Kaiser
Napoleon zu reuen, daß er diesem kleinen Preußen noch einen kleinen Rest
von Selbständigkeit gelassen hatte, und es schien seine planmäßige Absicht zu
sein, das Land bis zum äußersten Grade der Verarmung und Ohnmacht
auszupressen. Immer größer wird die Not,“ so schildert Guͤstav Freytag die
Zustände in Preußen; es ist die Absicht des Kaisers, auch dem Teil von
Preußen, dem er ein Scheinleben lasfen will, alle Adern zu öffnen, daß es
sich verblute. Unerschwinglich sind die Kriegssteuern. Die französische Armee
wird über das Land verteilt, sie bezieht in Schlesien und den Marken
Quartiere; Offiziere und Soldaten verden dem Bürger in die Häuser
gelegt, sie sollen gefüttert und vergnügt werden. Auf Kosten der Kreise
müssen gemeinschaftliche Tafeln eingerichtet und Bälle gegeben werden. Der
Soldat soll sich auf Kosten der Kreife entschädigen. Wir sind die Sieger,
Lesebuch f. d. Kapitulantenschulen. U.
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