Full text: Hessisches Lesebuch für Fortbildungsschulen

274 Dritter Zeitraum. 
bei Königgrätz. Voller Erwartung schauten die Augen von gauz Europa 
nach Böhmen, voller Siegeszuversicht blickte das preußische Heer zu seinem 
greisen Feldherrn empor; niemals hatte ein preußischer Feldherr eiue so 
große, aus allen Volksschichten bestehende und durch Bildung so ausgezeichnete 
Armee geführt; dazu hatte sich iu deu bisherigen Schlachten das von dem 
Schlosser Dreyse iu Sömmerda erfundene Zündnadelgewehr der preußischen 
Truppen der österreichischen Waffe bedeutend überlegen gezeigt. Auch Beuedek 
hatte feine Truppen jetzt auf dem rechten Ufer der oberen Elbe vereinigt; 
aber ein Sechstel der Gesamtzahl war durch die Kämpfe der letzten Tage 
bereits aufgerieben, sein Heer an militärischer Durchbildung dem preußischen 
längst nicht gewachsen. Er verlor daher schon vor der Entscheidnugsschlacht 
deu Mut und bat den Kaiser, er möge um jeden Preis Frieden schließen; 
als dieser darauf nicht einging, beschloß Benedek in der Erwartung, daß er 
es nur mit dem Prinzen Friedrich Karl zu thun haben werde, die Schlacht 
zwischen der Elbe uud dem ihr gleichlaufenden Bache Bistritz und gestützt auf 
die beiden Festungen Königgrätz und Josefstadt anzunehmen. 
König Wilhelm hatte seinen Truppen für den 3. Juli einen Ruhetag bestimmt; 
als aber Prinz Friedrich Karl am 2. erfuhr, daß ein großes österreichisches Heer un¬ 
mittelbar vor seiner Front lag, beschloß er, dasselbe am folgenden Tage anzugreifen, 
sandte sofort Nachricht an den Kronprinzen, den er um Beistand bat, und schickte 
General von Voigts-Rhetz noch abends spät znm Könige nach Gitschin, um dessen 
Genehmigung zu' erbitten. Der General ging zunächst zu Moltke, der mit einem 
„Gott sei Dank!" vom Lager sich erhob und zum Könige eilte. Auch dieser war nach 
kurzer Besprechung mit Moltke für den Angriff; nur war es bedenklich, ob der 
Kronprinz, der noch 30 km entfernt stand, rechtzeitig in den Kamps werde eingreifen 
können. Um 12 Uhr sprengte ein an ihn gesandter Adjutant in die dunkle, regnerische 
Nacht und die ihm unbekannte Gegend hinaus, schon um 5 Uhr brach die II. Armee 
auf. Um dieselbe Zeit verließ auch der König sein Hauptquartier, die Truppen der 
I. und III.. Armee waren schon seit drei Stunden aus dem Marsche. 
Die Österreicher waren vor ihrer Front durch die Bistritz mit ihren zum Teil 
sumpfigen Usern gedeckt und hatten sich aus einem von wellenförmigen Höhen und 
tiefen Schluchten durchzogenen Gelände, das hin und wieder von kleinen Dörfern und 
Wäldern bedeckt war, verschanzt; sie waren bis zur Ankunft des, Kronprinzen an 
Zahl dem Gegner fast um das Doppelte überlegen. Um 8 Uhr stieg der König zu 
Pferde und befahl den Angriff. Er selber leitete die Schlacht von einer dem Orte 
Sadowa gegenüberliegenden Höhe. Mutig gingen die Preußen gegen die fast un= 
einnehmbare Stellung vor, überschritten an mehreren Stellen die, Bistritz; aber den 
Feind von den Hohen zu vertreiben, war unmöglich, zumal die gezogenen öster¬ 
reichischen Geschütze die glatten preußischen weit übertrafen. Die Schlacht kam zum 
Stehen, und nun hatten die Preußen einen schweren Stand, besonders die Division 
Fransecky (Altmärker und.Magdeburger), die den Wald von Senates viele Stunden 
lang gegen eine vierfache Übermacht behauptete. Es lag dem Könige alles daran, den 
Feind so lange festzuhalten, bis der Kronprinz ihn in der Flanke fassen könne; aber 
auch dies schien kaum möglich. Schon hatten die Truppen sich vielfach verschossen, 
schon mußte die Reserve aufgeboten werden, und noch immer zeigte sich von der An¬ 
näherung der krortprinzlichen Armee keine Spur. Selbst das Hauptquartier ward 
besorgt; aber Moltke erwiderte aus eine Anfrage des Königs: „Ew. Majestät werden 
heute nicht nur die Schlacht, sondern den Feldzug gewinnen/' Endlich gegen 11 Uhr 
durchflog die Reihen der erschöpften Krieger die frohe Kunde: Der Kronprinz 
kommt! und stärkte sie zu neuem Kampfe. , 
Die II. Armee hatte größtenteils erst die Elbe überschreiten und einen zwei bis 
vier Meilen weiten Weg in strömendem Regen zurücklegen müssen. Aber die Mann¬ 
schaften brannten vor Kampfbegier und marschierten im Gewaltschritt. Da die
	        
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