kein bepackter Träger seufzt unter der schweren Last. Oie Kaufläden
sind geschlossen, die Schaufenster verhängt, selbst die Schultüren sind nicht
geöffnet. Nur eine Tür hat sich weit aufgetan, es ist die Tür zum
Gotteshause. Feierlich rufen die Glocken die Scharen der Andächtigen
herbei, und durch die Straßen strömen die Kirchgänger in Feierkleidern,
still und ernst, mit dem Gesangbuche in der Hand nach dem Hause des
Herrn, wo auf dem Mar die Kerzen brennen und feierliche Grgeltöne
die Eintretenden empfangen.
3n Feld und Wald ist es heute auch anders als an den Wochen¬
tagen. Da wird kein Baum gefällt, kein Wild aus seinem versteck durch
Jagdhorn und Hundegebell aufgeschreckt. Uxt und Säge ruhen. Ohne
Furcht schreitet der Hirsch durch das Gebüsch, fröhlich springt das Eich¬
hörnchen von Baum zu Baum, und ungestört singt der Vogel seine Lieder
in den Zweigen. Uuf den Feldern spielen die Hasen, als wüßten sie,
daß heute Sonntag ist, und daß sie da sicher sind vor des Jägers Geschoß.
Nur der Landmann kommt auch heute heraus auf das Feld, um zu
sehen, wie Gott der Herr den ausgestreuten Samen hat wachsen lassen,
und freut sich schon im voraus des Lrntesegens, und die Lerche scheint
ihm heute fröhlicher zu singen und die Sonne freundlicher zu scheinen
denn je.
33. Vas Sonntagskind.
Henriette Vevide.
Es war einmal ein kleiner Knabe, der war gar arm, häßlich und
bucklig, aber er machte sich nichts daraus. „Dir kann's nicht fehlen,
Joseph," sagte seine Mutter, „denn du bist ein Sonntagskind." Und
das wiederholte sie alle Tage, und sie sagte es noch, ehe sie starb. Und
wirklich war der kleine Knabe trotz seiner Urmut, Häßlichkeit und
Verlassenheit der Glücklichste im ganzen Dorfe, ein echtes, rechtes Sonn¬
tagskind.
Da er wegen seines Gebrechens zu keinem Handwerk taugte, so
verwendete man ihn zu Botengängen. Briefe und Päcke mußte er über
Land tragen, weshalb man ihn den Boten-Ioseph nannte. Die ganze
Woche über arbeitete er sich satt,' aber des Sonntags zog er sein bestes
Kleid an und ging zum Herrn Pfarrer in den Garten. Dort war's so
schön. Und der Herr Pfarrer sprach manch erbauliches, belehrendes
Wort zu ihm, und das war wiederum so schön.
Ja, der Boten-Ioseph war glücklich,' denn er konnte sich über
alles freuen. 3m Sommer freute er sich über die Sonne, die so warm
und freundlich herniederschien, über die Blumen, die in herrlichen Farben
wevelmeyer, Deutsches Lesebuch. II. 3