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Aber der Vater lächelte, pfropfte* das fremde Reis auf den Rumpf
des Bäumchens und verband es sorgfältig. Darauf sagte er: „Sieh,
mein Sohn, wäre das Bäumchen ohne Zucht und Pflege draußen im
Walde geblieben, so wäre es aufgewachsen schief und knorrig, wie es
der Zufall gibt; es hätte nur herbe, ungenießbare Fruchte getragen. 5
Jetzt habe ich seinen Wuchs geleitet; ich habe seinen wilden Trieb durch
dieses Reis veredelt, damit sich sogleich mit dem sprossenden Frühling
seine volle Kraft dahinein ergieße. Es hat nun die Richtung, in der
es zu einem tüchtigen Baum erwachsen kann."
So wie der Frühling vorrückte, breitete auch das Bäumchen seine 10
Zweige und Äste immer lustiger aus. Der Knabe freute sich, wenn
er's sah, und holte den Vater herbei, als er die ersten Blüten daran
entdeckte. — Dieser griff aber wieder nach seinem Messer und schnitt
die Spitzen der Zweige samt den Blüten hinweg.
„O, schade, schade!" rief der Knabe. Jeder Schnitt des Vaters ir»
war ihm durchs Herz gegangen. „Wie kannst du auch nur so grausam
sein! Das arme, arme Bäumchen!"
„Laß dir's darum nicht leid sein?" erwiderte der Vater. „Ich
habe ihm nur den üppigen Trieb genommen, durch den es verwildern
würde. An dieser vorzeitigen Fruchtbarkeit hätte sich seine Kraft er-20
schöpft, ehe sie zu ihrer völligen Entwickelung gekommen wäre." —
„Aber freue dich, mein Sohn!" setzte er hinzu. „Diese Blüten sind
ein Zeichen seiner innern Tüchtigkeit. Lassen wir ihm Zeit, stark zu
werden, und wir dürfen das Beste hoffen!"
3.
Es waren Jahre vergangen. — Im Herbste kehrte der Knabe, 25
näher dem Jünglingsalter, wohlgebildet aus der Stadt zurück in das
elterliche Haus. Nach der ersten Freude des Wiedersehens führte der
Vater seinen Sohn in den Garten.
Sieh, da stand vor ihnen, stark und stämmig, der Apfelbaum, und
seine Zweige neigten sich unter dem Segen der roten, goldenen Früchte. 30
„Siehst du, mein Sohn," sagte der Vater, „wie er die vollen
Aste dir zum Gruß entgegenbreitet? Es ist ein freudiger, dankbarer
Baum geworden, jenes Bäumchen. — Dein Bäumchen, mein lieber
Sohn; denn es ist ja mit dir groß und stark und herrlich geworden."
Da blickte der Sohn gerührt zum Vater auf, und es war ihm, 35
als wäre ihm jetzt zum erstenmal der Gang und die Bestimmung seines
Lebens klar geworden. Friedrich Adolf Krummacher.