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Faules Lieschen heißt die kleine Blume, die sonst Kesselblümchen
genannt wird. Ls heißt faules Lieschen, weil es erst spät am Morgen
die Bugen ausmacht und sie früh am Nachmittag schon wieder schließt.
Hans und Grete gehören auch der Pflanzenwelt an. Gretel im Busch
oder Gretel in der Stauden ist die Gartenblume Nigella Damascena,
zottige Grete ist die Federnelke, faule Grete werden der Hundsschierling
und noch einige andere Pflanzen genannt. Hans oder Hänschen am Wege
ist das gemeinste, unzertretbare Wegkraut,- klingender Hans ist die pflanze,
die sonst Hahnenkamm genannt wird, schöner Hans die Veetnelke. Ls
gibt einen guten, einen bösen und einen stolzen Heinrich. Der gute ist
eine unschuldige pflanze,- böser Heinrich heißt das giftige Bingelkraut
und auch der heimtückische Lrbsenwürger; stolzer Heinrich werden ver¬
schiedene hübsche und ansehnliche Feld- und Waldpflanzen genannt.
Blle diese Namen: Hans und Grete, Heinrich und Liese, sind keine
Eigennamen mehr,' sie sind aus Ligennamen zu Gattungsnamen ge¬
worden und als solche vielfach in den Sprachgebrauch gekommen.
Daß Menschen und besonders Personen weiblichen Geschlechts Blumen¬
namen erhalten, erscheint noch natürlicher, als daß Blumen Frauen¬
namen bekommen. Ls liegt so nahe, anmutige weibliche Wesen mit
Blumen zu vergleichen, deren Beiz auch so wunderbar und ebenso ver¬
gänglich ist. Davon ist nur ein Schritt, sie Blumen zu nennen.
Umgekehrt werden auch Pflanzen Frau genannt. So begegnet uns
im Volkslied Frau Hasel und Frau Fichte. Bose und Lilie sind zunächst
und in unserer alten deutschen Poesie fast ausschließlich die Blumen,
mit denen Frauen verglichen werden. Bose und Lilie sind die Blumen
im besondern, Blume und weißblume, Flore und Blancheflor, womit
Schneeweißchen und Bosenrot des deutschen Märchens zu vergleichen sind.
Daneben kommt noch das Veilchen in Betracht, das der Dichter Frauen¬
lob einmal anführt in den Versen: „Weib, Wurzel aller Seligkeit, Weib,
aller Güte ein Veilchen." Sn unzähligen Liedern wird „aller Weiber
schönste", die Jungfrau Maria, als Bose angeredet.
Blumennamen sind zuweilen den Gestalten des Märchens gegeben.
Ich erinnere an das Dornröschen und das Märchen von der Bapunzel,
in dem es heißt: „Bapunzel, Bapunzel, laß die haar herunter!" Ba¬
punzel ist eine Glockenblume mit eßbarer Wurzel, und weshalb ein Kind
so genannt wurde, ist in dem „Bapunzel" überschriebenen Grimmschen
Märchen nachzulesen.
In fremden Namen kommen etwas mehr Frauennamen aus Blumen
vor als im Deutschen. Die Engländer haben das niedliche Daisp, das
Maßlieb oder Gänseblümchen bei uns heißt, vaisp ist entstanden aus
day'3 eye, Tagesauge: so wurde das Blümchen genannt, weil es mit dem
Tage sich öffnet und mit ihm sich schließt. Erika, ein neuerdings beliebt
gewordener Mädchenname, scheint ein Blumenname zu sein, der Name
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