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IV. Unser Dorf.
Stadt hat der Hammer einen Stiel, und der muß festgehalten werden, wo
so viele Hände danach greifen. Wohl verdient man mehr damit im Tage,
aber es kostet auch mehr, die Nahrung, die Kleidung und Wohnung, und
dabei fehlt alles, was das Leben im Dorfe in guten und in bösen Tagen
freundlich machte, Luft und Licht im Haus, das Gärtchen vor der Tür und
der alte treue Nachbar, der schon mit dem Vater Freud und Leid geteilt hat
und zusprang auch ungerufen, wenn es galt. Darum besinne dich wohl, ehe
du dein Dörfchen mit der Stadt vertauschst.
Aber der Zug von dem Land in die Stadt ist nicht der einzige Schaden
unserer Zeit. Dazu kommt noch ein anderer, der Zug aus der Stadt auf
das Land. Es ist nicht ein Zug von Menschen, sondern ein Zugwind, eine
böse Zugluft, die manches Gute und Schöne auf dem Lande zerstört. Das
Land hat ja seine besonderen Schönheiten, nicht bloß in der Natur, sondern
auch in dem freund-nachbarlichen Zusammenleben, in alten Liedern, Sitten
und Gebräuchen, und ganz besonders in dem religiösen Leben seiner Be—
wohner. Je näher der Stadt, desto rascher entschwinden sie, aber auch in
die entferntesten Dörfer bringen die Gesellen und die Dienstboten, die in der
Stadt gearbeitet haben, nicht bloß andere Kleider, sondern auch andere Lieder
und andere Sitten mit, gar oft nicht die besten, und wer daheim etwas sein
will, der macht's ihnen nach. So ist in unserer verkehrsreichen Zeit das
Land in einer Umbildung begriffen, in vielen Stücken zu seinem eigenen
Schaden und zum Schaden unseres ganzen Volkes, dessen Nährboden das
Land nun einmal ist und bleibt. Das hat schon manchem wahren und ein—
sichtsvollen Volksfreunde Sorgen gemacht. Darunter ist einer besonders:
Heinrich Sohnrey.
Heinrich Sohnrey stammt aus dem südlichen Hannover nahe von der
hessischen Grenze her, wo so viele alte Volkssagen, -lieder, tmärchen und
andere Schätze des Volkslebens von jeher zu Hause waren. In dem Dorfe
Jähnde ist er am 19. Juni 1859 geboren und hat als rechter Dorfjunge
bis zur Konfirmation dort die Dorfschule besucht. Ein armer Junge war's
aus ganz einfachen Verhältnissen, aber sein Reichtum, seine ganze Wonne
war von Jugend auf das Leben des Dorfes mit seinen Spielen, Liedern,
Sitten, Sagen, Erzählungen. Das machte ihm die ärmste Hütte so kostbar,
so voller Erinnerungen und voll Lieb und Lust, daß er's nie hat vergessen
können und nirgends so Schönes wiedergefunden hat als allein noch in der
Bibel, in der er ebenso zu Hause war. Und weil er diese so gut kannte, nahm
sich sein Pfarrer seiner an, damit er Lehrer würde. Aber schon in der Volks—
schule und dann auf der Präparandenanstalt in Ahlden a. Aller, weiter auf
dem Seminar in Hannover und endlich auch, als er nun selber Lehrer war,
konnte alle Wissenschaft und die ganze weite Welt ihm sein Dorfleben nicht
ersetzen, er verzehrte sich vor Sehnsucht und sammelte lieber alle Geschichten
und Sagen, deren er habhaft werden konnte, und fand erst das Glück wieder,