141. H. Sohnrey und die ländliche Heimat— und Wohlfahrtspflege.
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als er anfing, selbst zu erzählen von all dem Leben und Treiben, Singen
und Sagen des Dorfes in schönen, einfachen Volkserzählungen, die jeder
verstand. Da fühlte er sich gleichsam wieder mitten unter seinen Dorfleuten
und freute sich, wie sie ihm zuhörten und ihnen nun selber auch erst die
Augen aufgingen für all den Reichtum und die Schönheit ihrer Heimat.
Denn das geht dabei immer schon als ein tiefer Schmerz durch seine
Erzählungen, daß man das nicht mehr weiß und achtet, und mehr und mehr
das Dorf verödet und zugrunde geht. Ja, darüber verließ er lieber Amt
und Brot und wählte, obwohl er sich inzwischen verheiratet hatte, lieber die
bitterste Not mit den Seinen, um nur dieser seiner Lebensaufgabe sich ganz
widmen zu können. Nach manchem Mißgeschick fand er 1889 endlich eine
Stelle als Herausgeber der amtlichen Freiburger Zeitung in Freiburg in
Baden. Und von hier schrieb er nun flammende Worte voll Zorns über
all den Unverstand auf dem Lande und bei den maßgebenden Kreisen in
den Städten, er zeigte, wie man die Menschen vom Boden ihrer Heimat ge—
löst und vertrieben, und daß der allgemeine Zug in die Stadt nichts weiter
als ein Zug des ganzen Volkes in den Tod hinein sei. Seine Worte er—
regten großes Aufsehen und alsbald machte er sich ans Werk, nun dauernd
mit einer neuen Zeitschrift, Das Land“, dem übel entgegenzuarbeiten und
alles zur Besserung und Wiederbelebung des Landes zu tun. Dieses Werk
fand die Unterstützung des preußischen Landwirtschaftsministeriums und ver—
schiedener anderer Regierungen. Unter dem Vorsitz des Ministerialdirektors
Dr. Thiel traten viele tüchtige Männer zu einer Vereinigung zusammen,
die jetzt den Namen „Deutscher Verein für ländliche Wohlfahrts- und
Heimatpflege“ führt. So kam Sohnrey nach Berlin und wurde der Leiter
und Führer der „ländlichen Wohlfahrts- und Heimatpflege“, an der er
seitdem mit großem Eifer und immer mehr Erfolg in ganz Deutschland
arbeitet.
Daneben aber hat er seine Erzählungen nicht vergessen, sondern noch
manches köstliche Buch dem deutschen Volke geschenkt. Und so ist es denn
zweierlei, wodurch er von so großer Bedeutung für die ländliche Bevölkerung
ist. Erftens durch die Erzählungen, in denen er uns ein Bild all der
Schönheit und all der Leiden des Landlebens ergreifend vor Augen malt;
zweitens durch seine praktische Wohlfahrtsarbeit zum Wohle des Landes.
Von den Erzählungen sind die schönsten: „Friedesinchens Lebenslauf“, „Im
grünen Klee, im weißen Schnee“, „Robinson in der Lindenhuͤtte“. Dazu
kommen auch zwei Schauspiele, ‚Die Dorfmusikanten“ und „Düwels“, von
denen besonders das erste auf jedem Dorfe, wo die Kräfte dazu vorhanden
sind, an Stelle so mancher Schundaufführungen eingeübt und dargestellt werden
sollte. Auch diese Schriften dienen also schon dazu, guten Geist auf dem
Lande zu verbreiten und allen die Heimat lieb zu machen. Dasselbe wollen
all die Veranstaltungen seiner Wohlfahrtspflege. Zu jedem Sonntag er—