Full text: Lehr- und Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

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44. Die Schraube. 
Die sinnreichsten Anwendungen der Naturkräfte vermögen selten unser 
Nachdenken anzuregen oder Fragen der Wißbegier zu veranlassen, so lange 
sie sich nur im Kreise des Gewöhnlichen und Älltäglichen bewegen. So ist 
es wohl manchem mit der Schraube ergangen. So lange er sie nur von 
dem Korkzieher her kannte, mit dem er Flaschen entstöpselte, oder von 
der Befestigung eines Thürschlosses, oder allenfalls auch von einer 
Karten- oder Bücherprefse her, war sie zu einfach, zu gewöhnlich, um 
seine Aufmerlsamkeit zu beschäftigen. Seit er aber von der Schiffs— 
schraube gehört hat, die in Verbindung mit dem Dampfe dem Menschen 
eine ungeahnte Herrschaft über das Meer berlieh, wird sie in 
seinen Augen ein höchst achtbares Ding, hinter dem doch wohl mehr steckt, 
als der Anschein verrät. Will er aber nun seine Wißbegierde befriedigen, 
so wird er sich doch wieder an sehr gewöhnliche und bisher sehr verächtlich 
übersehene Dinge wenden müssen. 
Da ist ein Fuhrmann, der ein schweres Faß auf seinen Wagen laden 
will. Er hebt es nicht gerade hinauf, denn dazu würden seine Kräfte nicht 
ausreichen; er legt vielmehr seine Schrot leiter an und rollt das Faß 
darüber hinauf. Er hat also, um Kraft zu ersparen, einen Umweg gemacht. 
Wie kann man aber durch einen Umweg Kraft ersparen? fragen wir. Nun, 
wir stürmen ja auch nicht, wenn wir einen steilen Berg erklimmen wollen, 
gerade vorwärts zum Gipfel hinauf, sondern folgen gemächlich dem auf 
weiten Umwegen im Zickzack oder schneckenförmig sich windenden Pfade. 
Mit der Kraflersparnis hat es aber seine eigene Bewandtnis. Was an 
Kraft erspart wird, geht an Zeit verloren, sagt die Mechanik, und 
der Vorteil des Umwegs besteht gleichsam nur darin, daß die Kraftanstrengung 
auf eine größere Zeit verteilt wird. Das wird freilich beim ersten Anschein 
etwas befremdend klingen. Darum wollen wir gleich hinzusetzen: auch die 
Last wird berteilt, oder es wird vielmehr in jeden Augenblicke ein Teil 
der Last aufgehoben. Überlegen wir uns den Vorgang mit der Schrotleiter 
etwas genauer! So lange das Faß auf ebener Slraße fortgerollt wird, ist 
eigentlich gar kein Gewicht vorhanden, da es von dem Boden aufgehoben 
wird, und nur die Reibungswiderstände erfordern eine Kraftanstrengung 
zur Fortbewegung. Auf der schiefen Ebene der Schrotleiter wird wenigstens 
ein Teil der Last von der Unterlage getragen. Die Last drückt auf die 
schiefe Ebene, und soweit dieser Druck fenkrecht gegen dieselbe gerichtet ist, 
wird er von der Unterlage aufgehoben, so daß nur der in der Richtung der 
schiefen Ebene wirkende Zug zu überwinden bleibt. Je steiler die schiefe 
Ebene, desto geringer ist natürlich der senkrecht wirkende Druck, desto stärker 
treibt es die Last nach abwärts; je weniger aber geneigt die Ebene ist, je 
mehr sie also der horizontalen nahe kommt, desto geringer wird die Kraft, 
welche, von der Reibung abgesehen, die Last darauf emporzuschieben vermag. 
Das Verhältnis der Höhe zur Länge der schiefen Ebene drückt 
daher geradezu das Verhältnis der Kraft zur emporzuhebenden 
Laft aus. Deshalb also legt der Fuhrmann seine Schrotleiter an, deshalb
	        
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