196
68. Wanderlust.
Wem Gottwill rechte Gunsterweisen,
den schickt er in die weite Welt;
dem will er seine Wunder weisen
in Berg und Wald und Strom und
Feld.
Den lieben Gott laß ich nur walten;
der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
und Erd' und Himmel will erhalten,
hat auch mein' Sach' auf's best' bestellt.
Die Bächlein von den Bergen sprin—
gen,
die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
was sollt' ich nicht mit ihnen singen
aus voller Kehl' und frischer Brust?
Eichendorff.
69. Der Sonntagmorgen in der Fremde.
Im fremden Lande zog der Sohn,
gelehnt auf seinen Stab
sah er am früh'sten Morgen schon
aufs stille Dorf hinab.
Es lag, wo er zur Nacht geruht,
am Saum des schönsten Thals,
beleuchtet von der Rosenglut
des ersten Sonnenstrahls.
Die Maitautröpfchen flimmerten
rings wundermild im Klee,
und alle Blüten schimmerten
wie frisch gefall'ner Schnee.
Bis auf die Sänger in der Luft
war's rings, als läg' im Traum,
berauscht von süßem Veilchenduft,
der ganze Schöpfungsraum.
Ein mildes Frühgeläut begann
auf Dörfern weit und breit,
bezaubernd zog die Seelen an
der Töne Herrlichkeit.
Auf jedes Dörflers Antlitz lag
Zufriedenheit und Lust,
denn Wonne streute dieser Tag
auch in des Armsten Brust.
Wohlmancherschritt geschmücktdaher,
doch keiner, keiner frug,
was wohl der Wandersmann so schwer
auf seinem Herzen trug,
warum beim schönen Festgeläut',
das jeder freudig hört,
er trüb' und feucht das
so oft zur Ferne kehrt.
Ach! Als ein alternd Mütterlein
durch's Feld zur Kirche ging,
war's ihm, als müßt' sie's selber sein,
die heiß sein Herz umfing.
Kein Tag giebt uns an Sehnsucht mehr,
sind wir der Heimat fern,
und mahnt uns so zur Wiederkehr,
als wie der Tag des Herrn.
Karl Weise.