Full text: Handbuch der deutschen Geschichte (3)

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lieben Kind solte schießen, Er woll lieber sterben. Der Landt-Vogt sprach: Das 
must du tun, oder du und das Kind sterben. Der Tell sach wol, daß Ers tun 
must, bat Gott inmgklich, daß Er In und sin lieb Kind behüte. Narn sin Arm¬ 
brust, spien') es, legt uff den Pfyl, und ftacft noch ein Pfyl binden in das Göllers, 
und legt der Landt-Vogt dem Kind (das nit mebr dann 6 Zar alt was) selbs 
den Oepffel uff sin Houpt. Also schoß der Tell dem Kind den Oepffel ab der 
Scheitlen des Houpts, daß Er das Kind nie verletzt. Do nun der Schutz ge- 
fchechen was, verwundert sich der Landt-Vogt des meisterlichen Schutzes, lobt 
den Tellen finer Kunst, und fragt Ine, was das bedüte, daß Er noch ein Pfyl 
binden ins Göller gesteckt bette ? Der Tell erschrack aber, und gedacht, die Frag 
bedütet nützit Guts, doch hett er gern die Sach glimpfflich verantwurt, und sprach: 
Es wäre also der Schützen Gewohnheit; der Landt-Vogt merckt wol, daß ihm 
der Tell entsasj9), und sprach: Tell nun sag mir frölich die Warheit, und furcht 
dir nützit darumb, du sott dins Lebens sicher sein, dann die gegebene Antwnrt 
nimm ich nit an, es wird etwas anders bedüt haben. Do redt Wilhelm Tell: 
Wolan, Herr, sidmaten10) Ir mich mins Lebens versichert habend, so will ich üch 
die gründlich Warheit sagen, daß min entliche Meinung gewesen, wann ich min 
Kind getroffen hette, daß ich üch mit dem andern Pfyl erschussen, und one 
Zwifel üwer nit gefält wolt haben. Do der Landt-Vogt das hört, sprach Er: 
Nun wolan Tell: Ich hab dich dins Lebens gesichert, das will ich dir halten, 
diewil ich aber din bösen Willen gegen mir verstau, so will ich dich führen lassen 
an ein Ort, und allda inlegen"), daß du weder Sunn noch Mon niemerme sechen 
solt, damit ich vor dir sicher fig. Hieß hiemit fine Diener In fachen1'2) und 
ongentz13) gebunden gen Flülen füren. Er für auch mit Inen, und nam des 
Tellen Schießzüg, Kocher, Pfyl uud Armbrust ouch mit Im, wolts Im selbs 
behalten; also saß der Landt-Vogt sambt den Dienern, und dem gebundnen 
Tellen in ein Schiff, wolt gen Brunnen faren, und darnach den Tellen über 
Landt durch Schwitz in sin Schloß gen Küßnach füren, und alda in einem finstern 
Thnrn sin Leben enden; des Tellen Schieß-Züg ward im Schiff uff den Bieten 
oder Grausen'^) bim Stürrnder gelegen. 
Wie fi nun uff den See kamend, und hinuff furend, biß an Achsen das 
Ecke, bo fugt Gott, daß ein solcher grufamer utigestümmer Sturm-Wind infiel, 
daß fi sich all verwegend Ejattend15) ärmftich zu ertrincken. Nun was der Tell 
ein starcker Mann, und kondt vast13) wol uff dem Wasser; do sprach der Dienern 
einer zum Landt-Vogt: Herr Ir fechend üwre und unsre Not und Gfar unsers 
Lebens, darinn wir stand! und daß die Schiff Meister erschrocken, und des Farens 
nit wol bericht; nun ist der Tell ein starker Mann, und kan wol jchiffen, man 
solt In jetz in der Not bruchen. Der Landt-Vogt war der Wasser-Not gar er» 
klnpfft^), sprach zum Tellen: Wann du uns getruwtift uß bis er Gfar zu helffen, 
so wolt ich dich diner Banden ledigen; der Tell gab Antwnrt: ^o Herr, ich 
getruwe uns mit Gottes Hilff wol hiebannen ze helffen. Also ward Er uff« 
gebunden, stunb an bas Stürruder unb für redlich bahin, boch lugt Er aQweg 
Anmerkungen: 7) spannte bie Armbrust; 8) Bekleibung des Halses und 
des oberen Rumpfteiles; 9) auswich, entschlüpfte; 10) da; n) einsperren; ,2J gefangen 
nehmen; 13) enge; Spitze des Schiffes; 15) einen üblen Ausgang des Wagnisses 
voraussahen; l6) sehr; I?) erschrak.
	        
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