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Lehrwerkstätten dürften zunächst für die allerwenigsten Schulen in Betracht
kommen. Daher kann vorerst lediglich der theoretische Unterricht hier eine Brücke
schlagen. Er kann sehr wohl zwischen den einzelnen Berufszweigen vermitteln, indem
er nicht einseitig einen bestimmten Beruf, sondern die örtliche Gesamtarbeit in den
Mittelpunkt stellt. Einen auf dieser Grundlage nach den örtlichen Verhältnissen
sorgfältig ausgearbeiteten Lehrplan der kleinen und mittleren Fortbildungsschulen hatte
die Ausarbeitung und Gruppierung des vorliegenden Lesebuches zur Voraussetzung.
Bei dem Bestreben, den gewerbekundlichen Unterricht auszubauen, macht sich
naturgemäß auch die Neigung geltend, das Ziel hoch und zu hoch zu stecken. Das
Vortragen — Dozieren — erfordert mehr und mehr — zu viel Zeit, namentlich,
wenn das unglückselige Mißverständnis waltet, daß die „Gewerbekunde“ alle Haupt—
zweige der menschlichen Produktionsarbeit umfassen müsse. Für das Lesen bleibt
dann sehr häufig keine Zeit mehr übrig — dem ethischen Berufsunterrichte fehlt
eine wichtige Stütze, ein belebendes Kräftigungs- und Stärkungsmittel. Wer da
meint, das Lesebuch ganz (d. i. auch auf der Untex- und Mittelstufe) entbehren und
das Prinzip der vollständig auf die Forthildungsschule übertragen zu
können, der überschützt das Niveau der Fortbildungsschule und ignoriert ihren
Charakter als Volkserziehungsanstalt.
Von den vorhandenen Fortbildungsschullesebüchern weicht die „Arbeit“ in
ihrer ganzen Anlage so stark ab, daß das Buch für viele Schulen, welche ein anderes
Lesebuch gebrauchen müssen, nicht nur reichen Ergänzungsstoff bietet, sondern auch
als eine zweckentsprechende Prümiengabe willkommen sein dürfte.
Jeder Abänderungsvorschlag aus den Kreisen der Herren Kollegen wird
meinerseits dankbar angenommen und für die folgenden Auflagen sorgfültig vor—
gemerkt werden.
Wer bei der Lehrplan-Aufstellung das Lesebuch nicht als „Mädchen für alles“
dienen lassen will, wird hinsichtlich der Auswahl der planmäßig zu lesenden Stücke
nicht in Verlegenheit kommen. Wenn neben den vaterländischen Stoffen auch die
Lichtpunkte inmitten der bürgerlichen Jahresarbeit, der Feiertag und unsere großen
christlichen Feste eingehender berücksichtigt worden sind, so dürfte dies vom Stand—
punkte eines ethischen Berufsunterrichts aus dem Buche nur zum Vorteil gereichen.
Bei der Gliederung des Buches leitete den Verfasser freilich noch ein höherer
Gesichtspunkt, wenn er alle Hauptzweige der gewerblichen Arbeit zum Aufbau heran—
zog. Wir leben in einer Zeit der einseitigen Interessenpolitik. Jeder Berufszweig
ist bestrebt, sich zu organisieren und sich Sondervorteile zu sichern. Die hierauf ge—
richtete Agitation ist gegen andere Stände sehr oft ohne Rücksicht und ignoriert
vielfach ganz und gar deren Existenzbedingungen. Aufgabe der Fortbildungs—
schule muß es däher sein, zwischen den einzelnen Berufen durch wechsel—
seitige Würdigung der Arbeit zu vermitteln und die einzelnen Arbeits—
klassen einander näher zu bringen. Indem die ‚„Arbeit“ die einzelnen Haupt—
berufszweige, soweit es der beschräükte Raum eines Lesebuches gestattet, würdigt,
hofft der Verfasser, für den ethischen Berufsunterricht, bei dem die Gefahr einer Ver—
nachlässigung ziemlich nahe liegt, einen gangbaren Weg eingeschlagen zu haben.
Wenn durch das vorliegende Lesebuch den Bedürfnissen einer Anzahl von
Schulen begegnet und vielleicht die Lesebuchliteratur ein neues Moment gewonnen
haben sollte, so erfüllt die „Arbeit“ vollkommen ihren Zweck.
Harburg a. E., 22. Januar 1907.
Der Verfalser.