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meister“; der war ein Mann, halb Clown, halb Polizist, der den Guten
spaßhaft kam und die Bösen in ihre Schranken zurückschreckte; der dafür
zu sorgen hatte, daß kein Betrunkener in Streit und kein Kind in Ge—
fahr geriet; der mit seiner Pritsche nicht nur neckisch klatschen, sondern
nötigenfalls auch empfindlich schlagen konnte, so daß Störenfrieden die
Lust am Lärmen verging. So ein Pritschenmeister, der immer von einem
Schwarm gleichgekleideter Buben umgeben war, die ihn helfen mußten in
der Ergreifung ünd Züchtigung von Übeltätern, versinnbildlicht uns so recht
die lächelnde Weisheit mittelalterlicher Tage, die alle wilden Maxe und
Moritze einer Stadt freudig und gesittet in den Dienst der Ordnung
zu stellen wußte, indem sie ihnen diesen Dienst drollig zurechtputzte und
unschädliches Fratzenschneiden erlaubte.
Unser heutiges großstädtisches Zeitalter hat vieler Buntheit ein Ende
bereitet. Deshalb ist es zu begrüßen, daß gesunde Kreise dieser Nüchtern—
heit und Farblosigkeit jetzt wieder den Krieg erklären und gerade bei
solchen Schützentagen auf Buntheit dringen. Namentlich in den größeren
Städten beginnt setzt wieder der Schützenzug sich prangender zu gestalten,
besonders wenn da verschiedene Landsmannschaften in ihren schönen eigen—
artigen Trachten als Gäste angezogen kommen; aber so recht hoch gehen
kann die Freude der Schützen doch erst, wenn sie heraus sind aus dem
gleichgültigen Gedränge der Riesenstraßen und sich, fern von allem Großstadt-
treiben, untereinander fühlen. Wenn die Berliner Schützen mittags vor
ihrem Rathaus über den Alexanderplatz ziehen, so erwartet sie am Bahn—
hof ein langer Sonderzug, der sie weit hinausführt in die Schönholzer
Gegend, wo fünfundsiebzig Schießstände bereit siehen und große Ver—
gnůgungsplätze angelegt sind. Der Schützenwirt, der alle diese vielen
Schůtzen und Tänzer, Mitglieder und Gäste, Frauen und Kinder be—
mutltern, bewirten und tränken muß, verdient sich die silberne Ehren—
medaille, die ihm dabei häufig am Schluß zuteil wird, in ehrlicher Art;
denn es ist ganz unglaublich, was so eine Berliner Schützenfestwoche ver—
schlingt! Im Jahr 1910 genoß man dort: 3700 Kilogramm Fleisch,
öb Rehrücken, 430 Gänse, 560 Hühner, 240 Kilogramm Fische, 60,000
Paar Knoblauch- und 55,000 Rostwürste, 2240 Kilogramm Butter,
350 Kilogramm Wurst, 190 Kilogramm Schinken, 124,000 Eier, 16,900
Brötchen, 55,000 Schrippen, 650 Brote usw.; und dazu trank man 940
Hektoliter bayrisches Bier, 98600 Flaschen Weißbier, 2300 Flaschen Wein,
320 Flaschen Sekt, 4200 Flaschen Selters, 3700 Flaschen Limonaden;
ferner verbrauchte man 1450 Kilogramm Kaffee und 2300 Liter Milch.
In kleineren und behaglicheren Orten kommt es vor, daß ein stolzer
Schützenkönig mit königlicher Gebärde dem Wirt des Schützenhauses den
Auftrag gibt, allen Schützen auf seine Kosten zu trinken zu geben; solchen
Repräsentationsluxus können sich in Berlin nur besonders gute Steuer—
zahler leisten. In kleineren und behaglicheren Orten empfängt ein solcher
Friedensfürst erst den richtigen goldenen Rahmen des echtesten Humors.
Wie traulich mutete das früher an, wenn z. B. in Neustrelitz die groß—
herzogliche Familie auf dem Festplatz erschien, und wenn den Höhepunkt
der Feier die Monarchenzusammenkunft zwischen dem Großherzog und
dem Schützenkönig bildete! Auch in Mecklenburg-Strelitz war ja die
Schützenzunft zur Abwehr von Gefahren und zur Aufrechterhaltung der