Full text: (Für Septima) (Abteilung 2, [Schülerband])

Weiße. Hey. v. St. Kl 
105. Der Hund als Lebensretter. 
Wer von euch schon in dem schönen Ostseehad Misdroy gewesen 
ist, der kennt sicher auch den Jordan, den herrlichen Waldsee, eine 
Stunde davon. Die uralten Kiefern und Buchen, die ihn umgehen, 
werfen ihre schwarzen Schatten auf das Wasser, und auf dem ruhigen 
Spiegel desselben schwimmen zwischen den großen, flachaufliegenden, 
grünen Blättern weiße Wasserrosen. Ja, diese Wasserrosen, diese 
Mummeln, wie viele sie nennen, sie haben schon manches Unheil 
verschuldet. Unschuldig, als wären sie vom Himmel gefallen, schaukeln 
sie auf geheimnisvoller Flut; aber tief unten am Grunde, da klammem 
sie sich fest, und wer sie pflücken will, der sehe sich vor, daß er 
nicht nachgezogen werde in die Tiefe! — Es war an einem Nach¬ 
mittag des Spätsommers 1888, als in einem Kahne auf dem See zwei 
kleine Mädchen sich damit vergnügten, Blätter und Blumen der 
Mummeln aus dem Wasser in den Kahn zu holen. Die größere Ge¬ 
sellschaft, zu der die zierlichen, weiß gekleideten Mädchen gehörten, 
erging sich am nahen Ufer im Walde. Außer den Kindern befand 
sich nur ein großer, schwarzer, zottiger Hund in dem Nachen. Der 
lose Kahn hatte sich weiter vom Ufer auf den See hinausgeschaukelt, 
als die Kinder gewollt und gemerkt hatten. Plötzlich durchtönte ein 
gellender Schrei die Luft. Bei dem hartnäckigen Ziehen an dem 
langen Stengel einer Wasserrose hatten beide Kinder das Gleichgewicht 
verloren und waren kopfüber in das Wasser gefallen. Wohl war der 
Unfall, wie der Angstschrei der Mutter bezeugt hatte, von ihr und 
den andern bemerkt worden; aber ehe der nächste Kahn vom Ufer 
gelöst und zur Unglücksstätte gebracht werden konnte, mußten wert¬ 
volle Minuten verstreichen. Schwerlich wäre das Rettungswerk ge¬ 
lungen, wenn nicht der brave Hund, die Gefahr erkennend, den Kindern 
ins Wasser nachgesprungen wäre. Dort ließ er es geschehen, daß 
das ältere, achtjährige Mädchen, von Todesangst getrieben, mit den 
Händchen nach dem zottigen Fell seines Halses griff und sich daran 
festhielt. Das jüngere Schwesterchen erfaßte er, als es aus dem Wasser 
wieder auftauchte, hei den Kleidern und hielt es, so gut es gehen 
wollte, mit dem Kopf über Wasser. Vielleicht wäre er selbst der 
doppelten Last erlegen, ehe er das Ufer erreichte, wenn ihnen nicht 
auf halbem Wege ein Kahn entgegengekommen wäre, der sie alle 
drei in Sicherheit brachte. — Die Kinder erkrankten zwar, erholten 
sich aber bald wieder; und auch der treue Hund kam ohne Schaden 
davon und lebte noch lange in dem Försterhaus des nahen Fischer¬ 
dorfes Swantuß. v. St. 
Aus: „Plauderstündchen“ von Helene Binder. 
Paulsiek, Lesebuch für Borschulen, II. 
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