Full text: Deutsches Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

327 — 
„Wir, Wilhelm, 
von Gottes Gnaden König von Preußen, 
nachdem die deutschen Fürsten und Freien Städte den einmütigen Ruf 
an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des Deutschen Reiches die 
seit mehr denn 60 Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern 
und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung des deutschen 
Bundes die enisprechenden Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden 
Wir hiermit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vater⸗ 
land betrachtet haben, diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten 
und Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. 
Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger in der Krone Preußens 
fortan den Kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und An— 
gelegenheiten des Deutschen Reiches führen, und hoffen zu Gott, daß 
es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen 
ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zukunft 
entgegenzuführen. Wir übernehmen die Kaiserliche Würde in dem Be— 
wußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und 
seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit 
Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu ver— 
teidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß es dem deutschen 
Volke vergbunt sein wird, den Lohn seiner heißen und opferwilligen 
Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, 
welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen 
erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns aber und Unseren Nach— 
folgern in der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer 
des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Er— 
oberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Frie— 
dens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und 
Gesittung.“ 
Das neuerstandene Deutsche Reich umfaßt 26 Staaten, nämlich zu— 
nächst diejenigen Länder und Freien Städte, welche schon zum Norddeutschen 
Bunde gehörten, und außerdem auch noch Bayern, Württemberg, Baden, 
Hessen-Darmstadt und Elsaß-Lothringen. Durch den ersten durch all— 
gemeines direktes Stimmrecht gewählten deutschen Reichstag wurde eine 
Verfassung genehmigt, wonach die Einzelstaaten in ihrer Eigenart unan— 
getastet bleiben. Das Reich bildet demnach nicht einen Staat, sondern 
einen unauflöslichen Bund, an dessen Spitze der Kaiser steht. Dieser ver— 
tritt das Reich den fremden Völkern gegenüber, schließt Bündnisse mit ihnen 
und ist der oberste Kriegsherr. 
Was Kaiser Wilhelm seinem Volke versprochen, hat er gehalten: das 
deutsche Kaiserreich ist ein Reich des Friedens geworden und durch seine 
Machistellung auch „ein zuverlässiger Bürge des europäischen Friedens“. 
Besonders wirksam für die Erhaltung des europäischen Friedens ist die 
Freundschaft geworden, welche den Kaiser Wilhelm mit den Fürsten Europas 
berband. Festhaltend an den Überlieferungen seines Vaters, war er vor
	        
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