Full text: [Teil 3a = 7. u. 8. Schulj] (Teil 3a = 7. u. 8. Schulj)

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„Wir sind die Herren des Waldes/' sagten die Tannen. 
Und leise, aber gebieterisch, rauschten sie wie einer, der die 
Macht in Händen hat und sich ihrer auch bewußt ist. 
„Es ist so unheimlich und finster bei euch,“ sagte die Hecke, die 
den! Wald umgab und in Blumen beinah’ erstickte; „seht, wie ich 
leuchte, wie ich dufte! Ihr habt keine einzige Blume — nur welke, 
braune Nadeln.“ 
„Blumen sind vergänglich,“ sagte der Tannenwald. „Jetzt prahlst 
du, in einem Monat bist du kahl und öde. Ich habe meine Märchen¬ 
pilze. Die kommen im Herbst, rot und weiß und gelb, giftig und 
unheimlich, daß man im Dunkeln bange vor ihnen werden kann. Und 
dann habe ich mein Moos, mein feines, grünes, weiches Moos.“ 
„Es ist alles so steif bei euch,“ sagte der Buchenwald; „ein 
Baum neben dem andern, und einer wie der andre-eins, zwei, 
— eins, zwei, wie Soldaten in Reih und Glied. Schatten werft ihr 
•ja fast gar nicht, und wo sind eure murmelnden Bäche? Wo eure 
Vögel?“ 
„Wo bist du im Winter?“ fragte der Tannenwald. „Sieh mich 
an! Ich bin im Winter so grün wie nun, immer derselbe, immer un¬ 
verändert. Kein Lärm und kein Geschrei, immer stolz, ruhig, feierlich!“ 
„Es ist so langweilig bei euch,“ sagte die Wiese, „keine Biene 
summt, kein Schmetterling flattert.“ 
„Hältst du so viel von deinem Getier?“ fragte der Tannenwald; 
„sie nagen deine Wurzeln, sie fressen deine Blätter, deine Beeren. 
Ich halte mich an meine guten, fleißigen Ameisen.“ 
„Gott segne meinen Tannenwald,“ sagte der Förster, „der ver¬ 
sorgt sich selbst, macht keine unnötigen Scherereien und füllt die 
Kasse. Ich wollte, ich hätte nichts wie Tannen in meinen Wäldern.“ 
„Wir sind die Herren des Waldes,“ sagten die Tannen. 
2. Eines Tages verirrte sich ein Schmetterling in den Tannenwald. 
Er war weiß mit schwarzen Flecken und sah so ehrbar und un¬ 
schuldig aus, daß der alten Tanne, auf deren Stamm er sich setzte, 
ganz warm ums Herz wurde. 
„Was für eine niedliche, kleine Dame,“ sagte die Tanne, „wie 
heißt du, wenn ich fragen darf?“ 
„Ich bin eine kleine Nonne,“ erwiderte der Schmetterling mit 
einem süßen, feinen Stimmchen, „ich wollte nur wissen, ob ich ein 
paar Eier auf deinen Stamm legen dürfte.“ 
„Mit dem allergrößten Vergnügen,“ sagte die alte Tanne, „so viele 
du Lust hast. Du siehst, wir haben reichlich Platz.“ 
„Es werden noch einige mehr kommen,“ sagte die Nonne leise 
und bescheiden. „Wir sind eine kleine Familie.“
	        
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