Full text: Lesebuch für landwirtschaftliche Fortbildungsschulen im Königreich Sachsen

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Grannen bilden vielmehr bei den meisten eine Schutzwehr gegen die 
hungrigen und dürstenden Gesellen. Und doch, welcher Reichtum an 
Formen, welche Mannigfaltigkeit in der Zusammensetzung der Blüten zu 
Ährchen und dieser zu Ähren und Rispen! 
Wie bei den Gräsern das Ausstäuben erfolgt, ist so merkwürdig, 
daß es sich der Mühe lohnt, etwas näher darauf einzugehen. Sie ge— 
hören in die Reihe der Pflanzen, deren Blütenstaub durch zitternde, 
pendelnde oder schwingende Bewegungen der Staubbeutel und der sie 
tragenden Fäden in die Luft gestreut wird. Bei einem Teile der Gräser 
beginnt dieser Vorgang damit, daß sich die unter dem Namen Spelzen 
bekannten Deckblätichen der Blüte plötzlich auseinanderspreizen, was ver— 
mittels eines eigentümlichen, am Grunde angebrachten Schwellgewebes 
geschieht. Dadurch werden die bisher verborgenen Staubbeutel freigelegt, 
Und es wird die Möglichkeit gegeben, daß sie über die Spelzen hinaus 
an die Lust vorgeschoben werden. Dieses Vorschieben geschieht durch ein 
erstaunlich rasches Längenwachstum der Staubbeutelträger. Es wurde 
berechnet, daß sie nach zehn Minuten gewöhnlich das Drei- bis Vierfache 
ihrer ursprünglichen Länge erreicht haben. Bei einem Teile der Gräser 
wachsen die Fäden abwärts, bei einem anderen Teile wagerecht und wieder 
bei einem andern in gerader Richtung aufwärts dem Himmel zu. Bald 
jedoch erschlaffen die Fäden, die bisher aufrecht stehenden werden nickend 
und uͤberhaͤngend, die wagerecht vorgestreckten sinken herab, und alle machen 
jetzt den Eindruck von Pendeln, an welchen die Staubgefäße aufgehängt 
find. Hand in Hand mit diesen Veränderungen der Fäden vollzieht sich 
auch das Aufspringen der Staubbeutel. So lange diese unter der 
schützenden Hülle der Deckblättchen verborgen waren, erschienen sie lang⸗ 
gestreckt und lineal. Jedes Staubgefäß besteht aus zwei parallel neben— 
inanderliegenden Staubbehältern, und jeder Staubbehälter weist eine 
Längslinie auf, welcher entlang das Aufspringen erfolgt. Die Risse werden 
nur zum kleinen Teile klaffend, nämlich nur an dem abwärts gerichteten 
Ende. Da nun die Enden der Staubbehälter durch das Auseinander— 
weichen die Gestalt von tief ausgehöhlten Kähnen annehmen, so wird der 
Staub bei ruhiger Luft zunächst in diesen Aushöhlungen zurückbehalten. 
Erst dann, wenn ein Luftstrom die Halme bewegt, wird der Staub in 
Form eines Wölkchens fortgeweht; zunächst nur jene kleine Prise, welche 
auf den spreizenden, kahnförmigen Enden der Behälter liegt, aber bald 
sickert aus den oberen nicht klaffenden Teilen neuer Staub herab. Auch 
dieser hat natürlich keine lange Ruhe. Schon der nächste Windstoß ver⸗ 
mag ihn fortzublasen. Nachdem die Staubbeutel entleert sind, fallen sie 
als trockene Hülsen zu Boden. 
Die dem Verstauben vorausgehenden Veränderungen sind auffallend 
von der Witterung abhängig. Insbesondere spielen die Wärme und der 
Feuchtigkeitszustand der Luft eine hervorragende Rolle. Niedere Wärme⸗ 
grade, Regen oder trockene Luft können die geschilderten Vorgänge nicht 
dur um Stunden, sondern um Tage verzögern. Ein leichter Morgen— 
wind, welcher kurz nach Aufgang der Sonne durch das Tal streicht,
	        
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