Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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für seine im Schlachtenunwetter bewiesenen Tugenden, den er— 
probten Dienern und Beratern für ihre Treue im Dienste des Gemein— 
wohls. Immer inniger und fester war das Band geworden, das 
ihn mit einem Bismarck und einem Moltke einte; sein „Niemals“, 
das er dem ersteren auf sein Abschiedsgesuch zurief, kam aus der 
innersten Brust. Als der frühere Kriegsminister von Roon, sein 
treuer Helfer bei der Neugestaltung des Heeres, im Sterben lag, 
machte sich der selbst leidende Kaiser auf um Abschied von dem 
Wackeren zu nehmen. Mit seinem Kommen warf er auf das 
Sterbelager des hochverdienten Mannes den letzten Sonnenglanz 
dieses irdischen Daseins. Es lag etwas Sonniges, die Menschen 
Erwärmendes in der ganzen Persönlichkeit Kaiser Wilhelms, das 
jeden an ihn fesselte, auf dem einmal ein Blick seiner Augen ge— 
ruht hatte. 
zSetne DVlichrttreue. 
Wenn Wilhelm J1. die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte 
der Krone mit aller Entschiedenheit wahrte, so tat er dies nicht 
seiner selbst willen, sondern des Volkswohles wegen, in dessen 
Förderung er sich selbst im Greisenalter keine Bequemlichkeit, keine 
Muße gönnte. Allezeit war er im Dienste des Staates tätig; denn 
wie Gottvertrauen und Frömmigkeit die Quellen waren, aus deren 
unversiegbarem Wasser er seine Seele erquickte, so gab das Pflicht— 
bewußtsein seinem alternden Körper stets wieder neue Spannkraft. 
Sein ganzes Leben war eine Betätigung des Gelübdes des Knaben: 
„Jeden Tag will ich mit dem Andenken an Gott und meine Pflicht 
beginnen und jeden Abend mich über die Anwendung des ver— 
flossenen Tages prüfen.“ Immer im Dienste der Pflicht, kannte 
Kaiser Wilhelm J. kein Stillsitzen ohne Beschäftigung, kein Aufsuchen 
einer Bequemlichkeit, keine Schonung seiner eigenen Person. 
Seinen Anlagen und seinen Neigungen nach war Kaiser Wil— 
helm Soldat vom Scheitel bis zur Sohle. Sein Werk ist die sieg— 
reiche Armee Preußens; ihr galt sein Sinnen und Denken, sein 
Sorgen und sein Schaffen von der frühesten Zeit seines Jünglings— 
alters an. In ihren Dienst hatte er früher schon Jahrzehnte hin— 
durch seine Feder gestellt, deren Erzeugnisse den Stempel seiner ganzen 
Persönlichkeit tragen: klar, knapp, ohne überflüssige Worte. Indessen 
so sehr sein Herz auch an der Armee hing, in deren Dienst ihm auch 
das Kleinste nicht unwesentlich erschien, so sah er in ihr doch immer 
nur das Werkzeug, um den Gedanken seines Lebens zur Cat werden 
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