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viel Schönes in gar künstlichen Reimen und Redensarten. Auf dem Ge—
merke sah ich, wie einer der Meister in der Bibel nachlas, der andere an
den Fingern die Silben abzählte und der dritte aufschrieb, was diese beiden
ihm von Zeit zu Zeit zuflüsterten. Aber auch die Meister unten waren
aufmerksam und in stiller Thätigkeit. Alle trieben mit den Fingern ein
närrisches Spiel, um genau die Versmaße wahrzunehmen. An ihrem
Kopfschütteln erkannte ich, daß der Sprecher hie und da ein Versehen be—
gangen. Nach dem Meister Nachtigall kam die Reihe an einen Jüngling,
Fritz Kothner, einen Glockengießer, der hatte die Schöpfungsgeschichte zum
Gegenstande seines Gedichtes gewählt. Aber der Arme war verlegen; es
wollte nicht gehen, und ein Merker hieß ihn den Singestuhl verlassen.
„Der Meister hat versungen,“ raunte mir Vischer zu, und da ich ihn fragte,
warum man ihn nicht hätte sein Stück zu Ende bringen lassen, so erklärte
er mir, daß er ein Laster begangen. Mit diesem Namen belegten nämlich
die Kenner der Tabulatur einen Verstoß gegen die Reime. Nun ließ sich
Leonhard Nunnenbeck vernehmen, ein ehrwürdiger Greis in schwarzem
Gewande. Sein Kopf war glatt, wie meine innere Hand, und nur das
Kinn schmückte ein schneeweißer Bart. Alles bewunderte ihn, wie er gemäß
der Apokalypse den Herrn beschrieb. Als Nunnenbeck endigte, da waren
alle voller Entzücken, und namentlich leuchtete aus Hans Sachsens Gesichte,
der sein dankbarer Schüler war, die helle Freude hervor. Er rühmte sich
des Lehrers, wie der Lehrer seiner. Mir gefiel auch das Gedicht, das aber
wohl mehr erhaben als schön war. Da trat als der vierte und letzte
Sänger wieder ein Jüngling auf. Was der sagte, war so recht nach
meinem Sinn. Er gehörte auch zur Weberzunft, hieß Michael Behaim
und hatte mancherlei Länder gesehen. Sein Vater hatte sich Behaim (Böhme)
genannt, da er aus Böhmen nach Franken gezogen war. Mit rastloser An—
strengung übte sich unser Behaim in der Singekunst und verglich sich mit
Recht mit einem Bergmanne, der mühsam gräbt und sucht, um edles Gold
zu fördern. Nie war er früher in einer Festschule aufgetreten, da er nicht
anders als mit Ruhm den Singstuhl besteigen wollte. Sonder Zweifel
hätte Michael Behaim den ersten Preis errungen, wenn nicht Nunnenbeck
vorher gesungen. Sein Gedicht war gar sinnreich mit künstlichen Reimen.
Da Michael Behaim sein Gedicht vorgetragen hatte, so verließen die
Merker ihren Sitz. Der erste trat zu Nunnenbeck, und mit einem langen
Glückwunsche hing er ihm den Davidsgewinner um, und der zweite
Merker zierte Behaims Haupt mit dem Kranze, der ihm ganz wohl stand.
Diese Gaben aber waren nicht Geschenke, sondern nur Auszeichnungen für
die Feier des Tages. Das Fest in der Kirche war beendigt, und alle
drängten sich jetzt mit aufrichtiger Teilnahme zu den Begabten, um ihnen
freudig die Hände zu drücken.
Es war Brauch, daß die Meistersinger, insonderheit die jüngeren, sich
nach der Festschule in eine nahe gelegene Schenke begaben. Wie in der
Kirche heiliger Ernst, so herrschte hier frohe Ungebundenheit. Hier wurde
der Wein getrunken, den der eine zur Buße, wie der Meister Kothner, der
andere zur Ehre hergeben mußte, wie Meister Behaim, weil er zum erstenmal