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ihn vertrat eifrig diesen Wunsch der Nation, und er ließ sie gewähren.
Am 3. Dezember ersuchte der Bayernkönig Ludwig II. im Namen der
deutschen Fürsten den König von Preußen, die Rechte, die er über Deutsch⸗
land empfangen, unter dem Titel eines „Deutschen Kaisers“ auszuüben.
Der Norddeutsche Bundesrat beschloß, die Verfassung dahin zu ändern,
daß der Bund fortan den Namen „Deutsches Reich“ und der König von
Preußen den Titel „Deutscher Kaiser“ zu führen habe. Auch im Volke
selber, am meisten im Süden, legte man auf den ehrwürdigen Kaisernamen
großen Wert. Nachdem der Reichstag des Norddeutschen Bundes jene
Verträge mit den Südstaaten genehmigt hatte, richtete er eine Adresse an
den König, in welcher er diesen bat, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen.
Die Adresse wurde durch eine Abordnung des Reichstages unter Führung
seines Präsidenten Dr. Eduard Simson nach Versailles gebracht und am
18. Dezember dem König übergeben. Schon einmal war Eduard Simson
als Sprecher des deutschen Volkes mit demselben Antrage vor einen König
von Preußen getreten, damals (1849) umsonst; denn, wie Friedrich Wil⸗
helm IV. sehr richtig geurteilt, „die deutsche Krone wird nur auf dem
Schlachtfelde gewonnen“. Jetzt war sie so gewonnen, Wilhelm J. hatte sie
redlich verdient, und er war der Mann dazu, sie zu behaupten. So er—
füllte er denn den allgemeinen Wunsch; er nahm für sich und seine Nach—
folger in der Krone Preußens die deutsche Kaiserwürde an und bestimmte,
daß die Verkündigung des preußisch-deutschen Kaisertums am Jahrestage
der Erhebung Preußens zum Königreich stattfinden sollte.
Am 18. Januar 1871 (einem Mittwoch) ging die bedeutungsvolle
Feierlichkeit vor sich. Die „Spiegelhalle“ des Palastes zu Versailles
war der Schauplatz derselben. Ein Altar erhob sich dort, mil einer roten
Decke bekleidet, welche das Zeichen des Eisernen Kreuzes trug. Zu beiden
Seiten des Altars standen in dichten Reihen ordengeschmückte Mannschaften
des Deutschen Heeres, ihnen gegenüber eine erlesene Schar von 500 Offizieren,
dazwischen zur Linken ein Wald von schlachtenerprobten Fahnen. Um halb
zwei Uhr trat der König ein und stellte sich vor dem Allar auf, im Halb⸗
kreise um ihn die Vertreter und Abgesandten der deutschen Fürstenschaft:
der Kronprinz von Preußen, die Prinzen Karl und Adalbert von Preußen,
der Kronprinz von Sachsen, die Großherzöge von Baden, Sachsen⸗Weimar
und Oldenburg, der mutmaßliche Thronfolger Prinz Wilhelm von Württem⸗
berg, drei Prinzen von Bahern, die Herzöge von Koburg, Meiningen und
Altenburg, die Erbgroßherzöge von Weimar, Schwerin, Strelitz und Olden⸗
burg, die Erbprinzen von Meiningen, Anhalt und Hohenzollern, zwei Her⸗
zöge von Württemberg, Prinz Georg von Sachsen und Prinz August von
Württemberg, der Landgraf von Hessen, der Herzog von Augustenburg, die
Fürsten von Schaumburg-Lippe, Schwarzburg⸗Rudolstadt, Wied, Putbus,
Lynar, Pleß, Biron, Eroy und Reuß, dann die Generale und Minister,
ihnen voran der Kanzler Graf Bismarck.
Als der König eintrat, stimmte ein aus Soldaten gebildeter Sänger⸗
chor einen Psalm an. Nun begann am Altar ein Militärgeistlicher die
Liturgie, auf welche die Predigt über Psalm 21 folgte. Nachdem der Ge—