39
fragt ward, wie weit er zur nächsten Stadt habe, und ob er diese wohl
noch vor Einbruch der Nacht erreichen könne, antwortete der kluge Schalk:
zJe nun, wenn Er langsam fährt, allerdings.“ Der Mann dachtẽe bei
sich: „Wenn's schon langsam geht, geht's rasch doppelt,“ und hieb auf seine
Pferde ein, daß sie wie der Sturmwind dahinweiterten. Krach! da brach
ein Rad und — Eulenspiegel hatte doch recht gehabt. „Eile mit Weile“,
heißt die Wanderregel auf der Reise durchs Leben,,wenn man langsam, aber
sicher“ sein Ziel erreichen will. „Ich bin recht begierig,“ schrieb eine geist
reiche Frau an einen jungen Freund, „von Ihrem Ergehen und Ihren
serneren Entschlüssen für Ihren künftigen Lebensweg zu hören, wobei Gott
Sie leiten und führen möge! Aber nehmen Sie die Versicherung mit, daß
u viel Eifer mehr schadet als nützt, und ein gleichmäßiger, ruhiger Fort—
schritt auch und sicherer zum Ziele führt. Alles in der Welt will seine Zeit
haben zur Entwickelung, so auch der Menschengeist. Es ist ein Unrecht,
das man sich zufügt, wenn man mehr von sich fordert, als man zu leisten
imstande ist, und jedes Überschätzen seiner Kräfte, nach welcher Richtung
hin es sei, ftraft sich bitter am Menschen.“
Nach dem bekannten Naturforscher Karl Müller in Halle ist die
Stetigkeit das Naturgesetz der Arbeit. Er sagt: „Das Leben besteht
für jeden aus drei wesentlichen Elementen, durch welche er sich stets ver—
jüngt, und er vollbringt dies um so mehr, je regelmäßiger dieselben unter—
einander abwechseln können. Jeder Tag des Lebens ist dazu da, um ihn
zwischen Tätigkeit, Genuß und Schlaf so einzuteilen, daß jede dieser
Abteilungen auf den geeignetsten Teil des Tages fällt. Die Feder einer
Uhr geht um so richtiger, je regelmäßiger sie täglich aufgezogen wird. Ge—
rade so ist es auch mit der Feder unserer Lebensuhr. Die ältesten Menschen
sind immer diejenigen, welche am gleichmäßigsten lebten. Ruhe in der Be—
wegung und Bewegung in der Ruhe, sagt man, sei das Höchste, wonach ein
Kunstwerk streben soll. Wohl, wenn unser eigenes Leben zu einem Kunst—
werk entwickelt werden soll, so ist dieses Kunstgesetz auch ein Sittengesetz.
Aber es wird nur erreicht durch Stetigkeit, ohne Hast, aber ohne Rast,
wie sich Goethe ausdrückt. Es ist der einzige Weg, auf welchem der Or—
ganismus am wenigsten abgenützt wird. Die Stetigkeit der Tätigkeit ist
die einfachste, natürlichste Wirtschaftsmethode für jedes menschliche Leben,
und weder das kleinste noch das größte Talent verletzt sie ungestraft.
Darum erhalten sich auch unsere Handwerker bei ihrer gleichmäßigen Tätig—
keit am gesundesten und heitersten. So verletzend es der Genialität klingen
mag, wenn man ihr den einfachsten Handwerker gegenüberstellt, so sehr kann
er doch als Vorbild dienen, und ich bin überzeugt, daß die Mozart,
Beethoven u. a. bei geordneter Lebensweise ganz andere Lebensalter er—
reicht haben würden. Goethe ehrte die Regel der Natur, welche Einfach—
heit und Stetigkeit heißt, und sonnte sich dafür in den Strahlen dieser
Tätigkeit bis in sein 83. Lebensjahr fast mit Jünglingsfrische. .. Zur
Stetigkeit gehört auch Beharrlichkeit; nur durch beides ist alles Große in
der Welt geschaffen. Furchtbar sind die Opfer, welche täglich in allen
Schichten der Gesellschaft in Unstetigkeit untergehen.“