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lieh währt am längsten, schuftig lebt in Ängsten“ ein
anderes. So selbstverstandlich dies erscheint, so wird es doch
oft vergessen; nicht nur, dass viele Menschen in einzelnen Fällen
die Regeln der Moral, wo es sich um Erwerb handelt, weniger
streng beachten, es gibt sogar Leute, welche geradezu leugnen,
dass ĩm WVirtschaftsleben dio Gesetze der Sittlichkeit massgebend
dein könnten. Das vornehmste der letzteren, dio, Wahrhaftig-
keit, wird als unanwendbar beigeito geschoben, um der Lũgoe,
dem Betrug Platæ zu machen. Dals diese Auffassung eines
gesitteten Nenschen unwürdig ist, braucht nicht besonders be-
Nesen zu werden; diejenigen, die ihr anhängen, mögen aber
fornor bedenken, dass, sobald sie allgemein wird, der Erfolg
jeder wirtschaftlichen Tatigkeit in Prage gestellt wird, undä
somit dis Wirtschaft des ganzen Volkes zurückgeht. Holland
und England hätten niemals zu so hoher wirtschaftlicher Blüte
gelangen können, wenn dort nicht von altersher die Geschäfts-
welt „reell“, d. . wahr und gewissenhaft, gewesen wäre; und
wenn die Engländer in den letzten Jahren manche ihrer aus-
wãrtigen Handelsverbindungen verloren, so hat dies seinen Grund
wesentlich darin, dass sie ihren alten Grundsätzen der Reellität
mehrfach untreu wurden.
Und wie es im grossen und ganzen geht, so geht es auch
im einzelnen. Es kommt ja wohl vor, dass ein Mann Er—
folge erringt, trotzdem er unsittlich wirtschaftet, und auf einen
solchen Mann zeigen dann alle diejenigen, welche beweisen
wollen, dass dié Moral im Geschäftsleben überflüssig sei; die
Falle, dass der unsolido Geschäftsmann vorankommt, sind aber
seltene Ausnahmen, die meisten derartigen Leute gehen elend
zugrunde. Es wäre auch wunderbar, venn dem nicht so wäre;
der Unerfahrene kann wohl einmal betrogen werden, er wird
sich aber, wenn er zur Erkenntnis des Betruges gekommen ist,
vom Betrũger abwenden, und so geht dessen Geschäft, anstatt
sich in dem Massse, als es bekannter wird, zu erweitern, immer
mehr und mehr zurück. Im grossen wirtschaftlichen Ver-
Kkehr macht sich dies allerdings mitunter erst nach längerer
Zeit fühlbar (d. h. für den Betreffenden; die Nation leidet aber
hierdureh gerade am meisten), im kleineren dagegen, bei der
Geschaftstatigkeit der Handwerker, Bauern, Krämer eto., welche
nur mit einer beschränkten Zahl am Orte wohnender Leute zu
tun haben, tritt der Rückschlag sehr bald ein, besonders wenn
das wirtschaftliche Verstandnis und anderseits das Rechtsge-
fühl in der Masse der Bevölkerung lebendiger werden. Sio
werden schnell ihre Kunden verlieren und der allgemeinen Ver-
achtung anheimfallen, jene Gewerbetreibenden, die sich un-
redlicher NMittel bedienen, um einen ausserordentlichen Gewinn
zu machen, oder die ebrlichæ Konkurrenz zu verdrängen, jene