Full text: Nürnberger Fortbildungsschullesebuch

44. Jugenderinnerungen Ernst Rietschels. 
Acht Tage nach meiner Konfirmation trat ich in die Lehre ein. 
Ich litt vom ersten Tage an am Heimweh. Der Prinzipal war ein gewiß 
braver, doch etwas unfreundlicher Mann, der, was ich auch tat, stets mit 
seinen Augen verfolgte und jeden Augenblick kritisierend dreinfuhr, wodurch 
meine Befangenheit nur vermehrt wurde. Ich mußte mit dem Markt— 
helfer mehrmals acht Tage lang von früh bis abends in der Hausflur 
stehen und Schnupftabak rappieren, d. h. die großen Karotten klein und 
zum schnupfbaren Tabak schneiden; ich durfte meine Eltern nicht besuchen, 
des Sonntags nicht ausgehen außer in die Kirche, und wenn am Sonntag⸗ 
nachmittag mir einige Erholungsstunden vergönnt waren, so mußte ich sie 
dazu anwenden mich im Rechnen, meiner Antipathie, zu üben. Begegnele 
ich meinem Vater zufällig oder sah ich ihn in der Kirche, so konnte ich 
vor Tränen nicht aus den Augen sehen. 
Die öftere Äußerung des Prinzipals: „Junge, du hast keinen Kauf— 
mannsgeist; aus dir wird in deinem Leben nichts; du bist ein Stroh⸗ 
kopf!“ feuerten meinen Mut auch nicht an. Der Kommis war ein 
kleines, krofulöses Männchen mit dicker, roter Nase und schielend; er war 
gut und duldsamer als der Prinzipal; doch äußerte er auch einmal: „Hör' 
Er, Er sollte Maler werden, zum Kaufmann taugt Er nichts; in Dresden 
ist eine Akademie, wo man unentgeltlich studieren kann, sprech Er mit 
seinem Vater!“ 
Ich teilte dies meinem Vater, sobald ich ihm begegnete, mit; doch 
er wies mich ab — mit scheinbar strengen Worten; allein ich fühlte an 
seinem Tone doch, daß ihm meine stete Niedergeschlagenheit leid tue: 
„Wie soll dies möglich sein, ich dich erhalten? Lehrjahre sind keine 
Herrenjahre, es geht anderen auch nicht besser, drum Geduld, die Zeit 
vergeht schnell·“ Traurig kehrte ich an meinen Ladentisch zurück und 
jeden Abend und Morgen fiel mir der Gedanke beängstigend auf die Seele, 
daß ich sechs Jahre so aushalten müsse. 
Ich war acht Wochen da, als ich mich eines Tages unwohl fühlte; 
zu meiner Freude mußte ich zu meinen Eltern gehen um mich dort pflegen 
zu lassen, und als ich genesen war, bat ich meinen Vater dringend mich 
nicht wieder dahin zu lassen, ich wolle alles lernen, ja jedes Handwerk, 
das er wünsche, nur Kaufmann möchte ich nicht werden. 
Es war nicht schwer meine Eltern zu bewegen und von seiten meines 
Prinzipals wurde ebensowenig zur Rückkehr gedrängt. Ich blieb zu Hause 
und beschäftigte mich wie früher, malte zu meiner Lust, zeichnete Wäsche 
zum Sticken, schrieb für den Gerichtsdirektor Akten in Reinschrift und 
verdiente immer etwas. Allein es drängte mich und meine Eltern, daß
	        
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