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durchzog er mit Erlaubnis Papst Urban's II einen großen Teil
Italiens und Frankreichs, um das Volk für einen Zug nach dem
heiligen Lande zu begeistern. Mit flammenden Worten forderte
er die Menge auf, das Grab des Heilandes den Ungläubigen zu
entreißen, und seine Predigten machten den gewaltigsten Eindruck
auf die Gemüter.
(Die Kirchenversammlung zu Clermont.) Als Urbau dies sah,
berief er für den Herbst 1095 eine Kirchenversammlung nach
Clermont in Frankreich, wo sich auf weiter Ebene zahllose
Geistliche, Fürsten, Ritter und Männer aus dem Volke einsanden.
Hier schilderte der Papst noch einmal in bewegter und doch wie¬
der feuriger Rede die Drangsale der Christen im Morgenlande
und verhieß denen, welche an dem Zuge teilnehmen würden, ewi¬
gen Lohn im Himmel. Und kaum hatte er geendet, da erschallte
der vieltausendstimmige Ruf: „Gott will es! Gott will es!" und
die meisten Anwesenden erklärten sich sosort zum Kampfe für die
Sache Christi bereit und hefteten zum Zeichen' dessen ein rotes
Kreuz auf ihre rechte Schulter. Von Clermont aus aber pflanzte
sich die Bewegung durch ganz Frankreich, Italien und die an¬
grenzenden Gebiete fort, und jeder Stand und jedes Alter wurde
von ihr ergriffen.
(Die Kreuzfahrer vor und in Antiochien.) Im Sommer 1096,
als schon einige vorausgeeilte Scharen wegen ihrer Räubereien
von den Ungarn und Bulgaren vernichtet worden waren, traten
die Fürsten und Herren mit den ihnen zuströmenden Pilgern den
Zug nach Osten an. Oben an unter den Führern standen Gott¬
fried von Bouillon, Herzog von Nieder-Lothnngen, Herzog
Robert von der Norma ndi e, Gras Raimund von Tou¬
louse und der Normannensürst Boemund von Tarent; das
gesamte Kreuzheer zählte 100000 schwergerüstete Reiter und
300000 Mann wohlbewaffnetes Fußvolk. Auf verschiedenen We¬
gen zogen die einzelnen Abteilungen über Constantinopel
nach Kleinasien und langten unter harten Kämpfen im Herbst
1097 vor Antiochien in Syrien an. Der Besitz dieser Stadt
war für das Unternehmen von der höchsten Wichtigkeit, die Be¬
lagerung der-selben aber ungemein schwierig. Um so thörichter han¬
delten die Pilger, daß sie die reichlich vorgefundenen Lebensmittel
in schwelgerischer Weise verzehrten; denn infolge dessen sahen sie
sich während des hereinbrechenden Winters dem bittersten'Man¬
gel preisgegeben, der die Wallbrüder zu vielen Tausenden dahinraffte.
Endlich öffnete ein Verräter eine Pforte, und mit dem Rufe
„Gott will es!" drangen die Kreuzfahrer iu die Stadt. Drei Tage
lang hatten sie in wilder Mordlust die Straßen durchtobt, als der
Statthalter von Mosul mit 200000 Mann vor den Thoren er¬
schien. Den Pilgern entsank der Mut, und viele ließen sich an
Stricken von der Mauer hinab und entflohen. Da fand ein