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Aber es kam anders. Im Innern des Kraters hatte sich unmittelbar
um die Öffnung, aus der die feurigen Massen mit der ungeheuersten
Gewalt emporgeschleudert werden, ein Kegel von lauter herabgefallenen
Schlacken und Steinen gebildet. Dieser stürzte am 27. August zusammen.
Heftiger werden die Erdstöße, schauderhafter das Dröhnen und Donnern
im Innern. Da öffnet sich plötzlich der Berg auf der Seite gegen Morgen
in mehrere Spalten, und ein Strom flüssiger Lava bricht daraus hervor
und wälzt sich in diesem flüssigen Zustande schnell den Berg herab.
Gerade dort standen hin und wieder in den Weinbergen, wo ein
überaus köstlicher Wein wächst, einzelne Häuser, in denen Winzer wohnten.
Eins dieser Häuser lag gerade in der Richtung des Lavastromes und war
jedenfalls verloren sammt seinen Bewohnern, wenn sie sich nicht retteten.
Glücklicherweise sahen sie die drohende Gefahr. Der Lavastrom hatte das
Haus schon erreicht, war aber noch so schmal, daß man ganz leicht ihn
überspringen konnte. Der Vater und die Mutter sprangen glücklich über
den glühenden Feuerstrom — aber ihr Kind, ihr einziges Kind, ein drei¬
zehnjähriges, liebliches Mädchen, hatte sich etwas verspätet. Als es mit
dem treuen Hunde an die Thür kam, war der Strom schon so breit, daß
an ein Überspringen nicht mehr gedacht werden konnte.
Das Kind jammerte, der Hund winselte — dort ringen verzweifelnd
die Eltern die Arme. Der Hund versucht's — aber er fällt in die glühende
Lava'und ist in einigen Sekunden zu Asche verbrannt. Das Kind schaudert
zurück und flieht in das Haus. — Mit jedem Augenblick wird der Strom
breiter und schwillt höher an. Wie lange wird's dauern, dann erfüllt er
das Haus — es brennt — und das Kind?! —
Ach, die Mutter ringt die Hände und betet und fleht um Erbarmen
des Himmels, um der Engel Schutz für ihr geliebtes Kind.
Der Vater steht starr wie eine Leiche, an einen Olivenbaum gelehnt.
Sein Auge ist auf das Haus gerichtet, wo sein theures-Kind weilt; die
Eltern hören es jammern und können nicht helfen und müssen es vor ihren
Augen lebendig verbrennen sehen.
So durchlebten die armen Eltern und das geängstete Kind den Nach¬
mittag, die Nacht, den folgenden Tag; aber in die Nacht ihres Jammers
bricht ein Lichtstrahl der Hoffnung. Der Berg hört auf zu arbeiten. Die
Lava hat sich zwar am Hause aufgestaut, aber sie fließt träge, endlich
steht sie still. Dies geschieht am 29. August morgens.
„Großer Gott!" ruft die Mutter, „ist noch Rettung möglich?" —
Da fällt ein starker Regen. Er kühlt die Lava ab, die sich nun schnell
mit einer schwarzen Kruste bedeckt. Der Vater probirt, ob ihn die Kruste
tragen könne. Noch nicht, aber es regnet stärker. Er wartet bis etwa
4 Uhr nachmittags. Da hält er die Todesangst nicht mehr aus; denn das
Kind ist still geworden.
Jetzt wagt er sein Leben für des Kindes Leben, befiehlt seine Seele