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tot sitzen. Das Kind fing aber wieder an und sagte: „O, gieb mir
doch auch ein klein bißchen zu essen, ich kann's fast nicht mehr aus¬
halten; sei doch so gut!"
Und nun schaute die Mutter aus mit einem Blick, den man nur
da sehen kann, wo wider Verhoffen jemand das Todesurteil vorgelesen
wird, und sagte: „Johann, sei doch um Gottes willen still! ich sterb'
ja selber vor Hunger." Aber der Kleine sing wieder an: „Gieb mir
doch nur ein klein wenig, ich bitte dich, liebe Mutter!"
Und die Mutter hielt es nicht mehr aus, griff unter das Bett,
langte ein kleines Brötchen hervor und sagte: „Da hast du es; ich
habe es ausgehoben, um deinem Schwesterchen Brei davon zu kochen;
— aber das arme Schäfchen wird's nicht mehr nötig haben."
Der Knabe griff hastig nach dem Brötchen; doch als er es halb
gegessen hatte, brachte er die andere Hälfte der Mutter und sprach
mit süßer Stimme: „Da, ich habe das für das Schwesterchen auf¬
gespart", und dann ging er wieder zum Ofen zurück.
Eine halbe Stunde darauf kam der Vater nach Hause, schaute
die Frau mit tiefer Betrübnis an und sagte: „Theres', wir sind recht
unglücklich. Ich stehe den ganzen Margen schon an der Eisenbahn
mit meinem Schubkarren und habe noch keinen Groschen verdient. Ich
weiß nicht mehr, was machen." — „Vater, Vater!" rief da der Knabe,
„ich habe Hunger, kriege ich jetzt ein Butterbrot?" Diese Worte
gingen dem Vater durch die Seele, und als er nun auch das kleinste
Kind sah, wie es in den Tod hinübersiechte, da wollte seine Seele
untergehen in unendlichem Jammer und Schmerz, und umsonst suchte
er einen Ausgang aus dieser Not. Endlich sprach er: „Ich weiß jetzt
nichts anderes zu thun, als bei der Versteigerung unsern Schubkarren
zu verkaufen." Und der war doch das einzige Werkzeug, womit der
arme Arbeitsmann sonst sein Brot verdiente.
An jedem Freitag wird in Antwerpen auf dem Markt eine Ver¬
steigerung gehalten, wo jeder bringen kann, was er will. Der Mann
gab dem Ausrufer seinen Schubkarren und wartete traurig, bis die
Reihe daran kam. Da gingen gerade zwei reiche Fräulein über den
Markt, und eine sagte zur andern: „Sieh doch, wie der Mann dort
gar so traurig und verstört aussieht!" und sie blieben stehen in seiner
Nähe. Sie hörten nun, daß ein Bekannter mit ihm redete, was er
da thue, und erfuhren hierdurch seine Not. Sie beredeten sich nun,
was sie thun wollten, und kauften hiernach den Schubkarren um