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keinen Atem merkte, lief er weiter, ohne demselben ein Leid zu
thun. Als nun der Bär weit genug fort war, erholten sich die
beiden Jägerburschen von ihrem Schrecken: der eine stieg von
dem Baume herunter, der andere stand vom Boden ans.
Da fragte der, welcher von oben zugesehen hatte: „Hör
einmal, was hat dir denn der Bär in das Ohr gesagt?“ „Ja“,
sagte der andere, „alles habe ich nicht verstanden, aber eins hat
er mir deutlich ins rechte Ohr gesagt, nämlich: „Man darf die
Haut des Bären nicht eher verkaufen, bevor man den Bären hat.“
Und in das linke Ohr hat er mir gesagt: „Wer seinen Freund
in der Not im Stiche lässt, der ist ein schlechter Kerl.“
211. Morgenrot.
„Kommt, Kinder, in dieses Zimmer herüber! sogleich geht die
Sonne auf! es ist ein wunderschönes Morgenrot!" Mit diesen Worten
öffnete die Mutter die Thüre des Zimmers, wo die Kinder alle ver-
fammelt waren, und der goldene Glanz der Morgenröte strahlte ihnen
durch die geöffnete Thüre schon entgegen. Sogleich sprangen alle auf
und eilten der Mutter nach in das Nebenzimmer, wo man gerade ins
Morgenrot hineinsah. Es war ein Dezembermorgen, kurz vor Weih¬
nachten. Durch entblätterte Baumgruppen eines Gartens sah man
gegenüber auf einem Hügel in ein dunkles Wäldchen, und durch dieses
hindurch glänzte es so goldig intb feurig, als wenn sogleich die Sonne
durchbrechen wollte. Über dem Wäldchen aber war der ganze Himmel
wie von Rosen bedeckt; dunkle Streifen von Gewölk erschienen nur
wie ein Fußboden, woraus die Rosen ausgestreut waren. Es war ein
tiefes Hochrot, wie man es selten zu andern Jahreszeiten sieht, gar
nicht ins Goldige, sondern recht wie das Rot von Blumenblättern.
Keine Bewegung war am Himmel; die Wolken standen ruhig in ihrer
Pracht. Auch auf der Erde war es still und feierlich, als lauschten
die Bäume im Halbdunkel auf den Widerschein, der sich über sie er¬
goß. „O, wie schön!" riefen die Kinder und blickten dann schweigend
durch die Fensterscheiben. Immer goldiger und glänzender wurde es
hinter den Bäumen, immer lichter und feuriger; Strahlen schossen
empor, und die Röte ringsum wölbte sich wie zu einer großen Pforte;
Purpurschimmer durchwallte die Zweige der Bäume. „O, wie schön!"
riefen aufs neue die Kinder. — „Ja, wie schön!" sagte die Mutter;
Lesebuch für höhere Mädchenschulen I. 10