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Kronen wie riesige Besen zum grauen Winterhimmel empor. An ihren
Zweigen sitzen Tausende und aber Tausende von Knospen, eingehüllt
im braunen Wintermantel, und harren der Zeit, da die belebende
Sonne sie wecken wird aus ihrem langen, liefen Schlafe. Nur die
Nadelhölzer sind grün, und an den Zweigen der älteren Kiefern und
Tannen hängen als hübsche Abwechslung zwischen den dunkeln Nadeln
die braunen Fruchtzapfen, und in ihren Wipfeln hören wir Vogel¬
gezwitscher.' Das niedliche Goldhähnchen, das noch kleiner ist als der
Zaunkönig, treibt hier sein munteres Wesen, und — o Wunder, sogar
ein Vogelnest mit jungen Vögeln darin birgt sich im Gezweig jener
hohen Tanne, und die Eltern fliegen ab und zu und füttern ihre
Brut, die Mutter im grauen Hauskleide und der Vater im prächtigen
roten Nock. Es sind Kreuzschnäbel, die sich von den Samen der Nadel¬
hölzer nähren.
Aber in alten, hohlen Eichen schlafen dicht zusammengedrängt Scharen
der wunderlichen Fledermäuse, und unten, eingewühlt im Mulm des
gehöhlten Stammes, liegen zu Knäueln geballt harmlose Blindschleichen
oder giftige Kreuzottern oder Ringelnattern und andere Schlangen.
In den Höhlungen zwischen dem Wurzelwerk hocken Kröten und schlum¬
mern die sonst so flinken Eidechsen. Zn den Astlöchern und den Ritzen
der Rinde harren Schmetterlinge des kommenden Frühlings. Andere
brachten dort ihre Eier unter oder befestigten sie und ihre Naupen-
gespinste an den Zweigen und zwischen den welken Blättern. Unter
der Baumrinde und unter Steinen ruhen Schnecken, Käfer, Spinnen
und Asseln, Tausendfüße und sonst allerlei Gewürm. Gar vielen ist
der Schnee eine schützende Decke, doch manchen ist er auch sehr lästig
und wird ihnen, wenn er lange liegt, leicht zum Verderben. Hirsche,
Rehe und Hasen, Mäuse und Eichhörnchen leiden durch ihn große Not.
Schwer darben die körnerfressenden Vögel, während diejenigen, die sich
von Insekten nähren, immer noch eher ihre Nahrung in den Verstecken
zu finden wissen. Der Fuchs aber schleicht mit bellendem Magen umher
und folgt ihnen mit lüsternen Blicken.
90. Frühling im Gehölz.
Ilse Frapan.
Hinter Eppendorf liegt Niendorf. Dort gibt es ein Gehölz.
Vorigen Sonntag sind wir im Niendorfer Gehölz gewesen, drei
Jungen und ich. Es war ziemlich weit zu gehen. Wir hatten