45. Die Leipziger Messe.
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Bei solchem Andrang von Menschen finden sich auch jene ver—
schmitzten Bürschchen ein, die das Geschäft der „Fingerfertigkeit“ ganz
besonders verstehen. Unzählig sind daher die großen und kleinen
Gaunereien, die zu dieser Zeit ausgeübt werden. Besonders ist es
Berlin, welches zu dieser Sorte Meßfremder ein großes Kontingent stellt.
Große, wohlorganisierte Gaunerbanden arbeiten sich gegenseitig in die
Hände, und nicht selten ereignet sich's, daß ganz fein aussehende, goldene
Ringe und Uhren tragende Herren als Taschendiebe entlarvt werden.
Aber auch an Musikbanden fehlt es nicht. „Ohne Meßmusik
keine Leipziger Messe.“ Wo man nur hinhorcht, singt's, dudelt's, bläst's
oder harft's einem entgegen. Hier dreht ein armer Blinder, dort ein
Lahmer, hier wieder ein Stelzfuß einen verstimmten Leierkasten; da—
zwischen hinein jauchzt's, trompetet's, schreit's in allen Tonarten, daß
man schier taub werden möchte.
Dort wieder auf hohem Gerüste schreit ein Ausrufer mit heiserer
Stimme uns an: „Immer heran, meine Herrschaften! Hier werden Sie
sehen, was noch nie nicht dagewesen ist!“
Hier ist wieder eine Reihe Tierbuden; dort kündigt eine andere
Bude an, daß eine 400pfündige, noch niemals gesehene kolossale Riesin
zu sehen sei; weiter entfernt produzieren sich Seiltänzer und Athleten;
aber auch Feueresser und Schwertverschlinger laden uns in ihre Buden ein.
Dort lockt uns wieder ein Zirkus mit seinen prächtigen Pferden,
seinen Kunstreitern, seinen Spaßmachern an. Doch wir würden nicht
fertig werden, wenn wir all die Buden sogar mit den tanzenden Flöhen,
den weißen Mäusen, den Wahrsagerinnen, Automaten und Taschenspielern
aufzählen würden. Noch viel weniger vermögen wir allen Stereoskopen—
sammlungen, Kasperletheater, russischen Schaukeln, Panoramen, Flecken—
vertilgern, Bänkelsängern und den Buden mit den angestrichenen Mohren
und gebändigten Menschenfressern, die vielleicht im benachbarten Dorfe
das Licht der Welt erblickten, Aufmerksamkeit zu widmen.
Bald jedoch hat die Flut einströmender Menschen und Waren ihren
Höhepunkt erreicht, und man merkt, daß die Messe ihrem Ende entgegen
geht. Jetzt kommt der eigentliche Zahltag — der Donnerstag — an dem
mancher zugrunde geht.
Mit dem Ende der allgemeinen Leipziger Ostermesse beginnt die
Buchhändlermesse. Von der Großartigkeit der Preßerzeugnisse in
Leipzig kann man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, daß
275 Buchhandlungen ihre Bücher in alle Welt hinaussenden. Leipzig ist
noch immer der Hauptplatz des Bücherhandels. Der gesamte Umsatz
während der Messe allein beläuft sich auf mehr als 21 Millionen