46. Das deutsche Manchester im sächsischen Erzgebirge.
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dreimal so viel. Möchte es dem beklagenswerten Erfinder, der vom
Pöbel mit Steinwürfen verfolgt wurde und im Armenhause starb, möchte
es doch dem genialen Hargrave vergönnt sein, sich an dem Anschauen
der Wirkungen seines Strebens zu erfreuen! Die erste Bildsäule, welche
Chemnitz errichtet, sollte ihm geweiht sein.
Ein anderer Industriezweig, der vor allen anderen das Zusammen⸗
wirken vieler Köpfe und Hände erfordert, ist der Zeug- und Kattun—
druck. Bleicher, Zeichner, Graveure, Chemiker und Mechaniker bemühen
sich, um neue reizende Muster und Farben herzustellen, oder um zweck⸗
mäßige Vervielfältigungsapparate für die Druckerei zu bauen. Besonders
hat der Wolldruck hier einen beträchtlichen Aufschwung genommen.
Gleichwie in der Baumwollenindustrie hat Chemnitz auch in einem
zweiten wichtigen Industriezweige den Vorrang im engeren Vaterlande,
nämlich in der Maschinenfabrikation. Der große Bedarf der
Umgegend an Spinn- und Webmaschinen mußte die Chemnitzer anregen,
die Herstellung derselben nicht für immer dem Auslande zu überlassen.
Die Anfänge dieser jungen Industrie fielen in eine ungünstige Zeit, wo
die Baumwollengewebe flau gingen, und waren eher abschreckend als
ermutigend. Um so größere Ehre macht es dem Talent und der Be—
harrlichkeit der nicht mit großen Kapitalien versehenen Unternehmer, daß
sie die junge schwache Pflanze zum kräftigen Baum erzogen. Chemnitz
hatte im Jahre 1860 22 kleinere und 6 große Maschinenbauanstalten,
in welchen über 4000 Arbeiter in voller Beschäftigung sind. In solchen
Anstalten wimmelt und arbeitet es, wie in einem Ameisenhaufen. Jeder
verrichtet nur seine eigene Arbeit, in der er sich Meisterschaft erwirbt,
unbekümmert um das Geschäft des Nachbarn, und dennoch scheint es,
wenn der Zusammensetzer all diese tausenderlei Schrauben, Nägel,
Stangen, Bleche, Walzen und Räder zun einem Ganzen verbindet, als
hätte ein einziger Mann alles gearbeitet. In zwei großen Schmiede—
sälen sind je 80 Essen in Glut, und vor 80 Ambossen schwingen je zwei
kräftige Arbeiter die Hämmer. Die gewaltigen Krahne der Gießereien
führen riesige Löffel voll glutroten Eisens in das Mundloch der Formen.
In den Schlossersälen surren und sausen allerlei sinnreiche Apparate,
welche das Eisen so leicht bearbeiten, als wäre es weiches Holz; durch
Dampf getriebene Maschinen bohren, hobeln, feilen, polieren und rändeln
mit solcher Genauigkeit und Schönheit, daß kein Schlossermeister ihre
Arbeit übertrifft. Eine riesige Drechselmaschine dreht ein Eisenrad mit
vollkommener Genauigkeit ab; eine Hobelmaschine glättet auf einer 12 m
langen Bahn eine ebenso lange Eisenplatte so leicht und genau, wie der
Tischler ein Tannenbrett behobelt. Die Schleifsteine der Schleifsäle