Das Fäßchen. — Bubi im ersten Lebensjahr. 
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„Na, und Sie wissen ja, wenn keiner mehr da ist, dann gibt's andern, 
genieren Sie sich nicht. Ich bin nicht geizig. Je eher er ausgetrunken ist, 
desto zufriedener bin ich.“ 
Damit bestieg er seinen Einspänner. 
Vier Tage später kam er wieder. Die Alte saß vor ihrer Tür und war 
gerade dabei, das Brot in die Suppe zu schneiden. 
Er kam heran, sagte ihr guten Tag und sprach ihr ins Gesicht, um ihren 
Atem zu riechen. Er duftete nach Schnaps. Da erhellte sich sein Gesicht. 
„Wollen Sie mir ein Gläschen von dem Feinen geben?“ bat er. 
Und sie stießen zwei-, dreimal an. 
Bald aber ging das Gerücht um, Mutter Magloire hätte sich dem 
stillen Trunk ergeben. Bald hob man sie in ihrer Küche, bald im Hofe, bald 
auf den Wegen in der Umgegend auf, und man mußte sie leblos wie eine 
Leiche nach Hause schaffen. 
Chicot besuchte sie nicht mehr, und wenn man zu ihm von der Bäuerin 
sprach, murmelte er mit traurigem Gesicht: 
„Ist's nicht schrecklich, in ihrem Alter solch eine Gewohnheit anzu— 
nehmen? Ja, sehen Sie, wenn man alt wird, dann hat man keine Wider— 
standskraft mehr. Das wird noch schlimm enden?“ 
In der Tat endete es schlimm. Sie starb im folgenden Winter zu Weih— 
nachten, als sie betrunken in den Schnee gefallen war. 
Und Meister Chicot erbte ihr Gut und erklärte: 
„Dies Bauernweib, wenn es nicht getrunken hätte, hätte es noch gut 
zehn Jahre leben können!“ Guy de Maupassant, „Ausgewählte Novellen“. 
Kindererziehung. 
De Beste, was eine Mutter ihren Kindern mitgeben 
kann, ist die Erinnerung an ein gesundes, glückliches, 
frohes und liebevolles Zusammenleben im Elternhause. 
Ein junger Mensch, in dem der Geist des Elternhauses 
lebendige Kraft behält, wird, wenn dieser Geist ein 
guter war, sicherer, reiner durchs Leben gehen als ein 
anderer, dem solcher Schutzgeist nicht folgt. 
Elsbeth Krukenberg. 
65. Bubi im ersten Lebenssahr. 
Aus dem Tagebuch eines Elternpaares. 
16. Mai 1904. Heute morgen 7 Uhr wurde unser kleiner Ernst Wolf— 
gang geboren. Er verhielt sich mehrere Sekunden lang lautlos, erst ein 
kräftiger Klaps der Hebamme auf den unteren Teil seines Rückens bewog ihn 
zum ersten Schrei. Ans besonnte Fenster gebracht, kniff er sofort die Äugen 
zusammen, öffnete sie aber gleich darauf weit, ließ also die Welt im Zweifel, 
ob er für Lichteindrücke schon empfänglich war. Geräusche wirkten auf das 
Kind überhaupt noch nicht. Dagegen schnappte es, als es hungrig war, seitwärts 
in das Federbett hinein, strampelte die eingebundenen Händchen (eingebunden, 
weil das Kind sich das Gesicht zerkratzt hatte) wieder frei ünd saugte gierig daran. 
31. Mai. Die ersten Tränen stellten sich ein. Das Kind schreit kräftig 
auf, „a — uah“, auch „ä — uäh“. Schrecklich boshaft klingen die hohen Kräh— 
töne, es hört sich an wie eine scharfe Säge; der Atem bleibt dann aus, der 
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