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Der Beruf der Frau im Hause. 
Vom Lesen wurde zwar nicht viel. Aber es war ihm eine Beruhigung, dieses 
Buch, in dem seines Herrgotts herrliche Verheißungen alle drin standen, in 
seiner Nähe zu haben. 
Am andern Morgen mußte auch ein Blinder sehen, daß die Krankheit 
sich verschlimmert hatte. Das Kind war kaum mehr zu bewegen, ein Wort zu 
sprechen. Für die Spielsachen, die Großvater heranschleppte, hatte es kein Auge. 
Die Wangen glühten im Fieber. Der Ätem ging schwer und zeitweise röchelnd. 
„De Krankheit“, tröstete Vater Lohmann, „will sick erst utarbelen. Mercurius 
helpt gewiß.“ Aber so gewiß klangen seine Worte nicht mehr als gestern abend. 
Das Kind hatte wieder mit Äteninot zu kämpfen. Da fuhr seine Mutter 
herum, sah die Eltern und ihren Mann mit irren Augen an und sagte in 
wilder Angst: 
„Seht ihr's denn nicht, Jürgen erstickt ja... Ihr mordet mir mein Kind 
mit eurer Quacksalbereil“ Die anderen standen ratlos und sahen angstvoll 
den schwer kämpfenden kleinen Liebling. Der Alte blickte nach der Uhr, ob 
noch nicht wieder Zeit wäre, einzugeben. Plötzlich trat die Mutter unmittelbar 
vor ihn hin, hochaufgerichtet ünd blitzenden Auges und schleuderte ihm ins 
Gesicht: „Du hast die Verantwortung, wenn der Junge stirbt!“ 
Einen Augenblick hielt er ihren Blick aus, dann wandte er sich, verließ 
mit langen, leisen Schritten das Zimmer, rannte über die Diele, riß die Pferde 
aus dem Stall und ant in wahnsinniger Fahrt in zwanzig Minuten nach 
Wiechel. Dem Arzt ließ er keine Zeit, den Wagen anzuspannen. Nach einer 
Viertelstunde donnerte er mit ihm über das Steinpflaster auf den Hof. 
Im Sprung ist er vom Wagen herunter, der Doktor ist ihm gar nicht 
eilig genug: „Bitte, bitte, Herr Doktor, schnell!“ Die beiden gehen über die 
Diele, vier, fünf Schritte ist Lohmann immer vorauf, dann bleibt er wieder 
stehen und treibt den Arzt zur Eile. 
Nun treten sie in das Zimmer des kleinen Patienten. 
„Wo geiht?“ fragt der Bauer angstvoll. 
„Slecht“, flüsterte Mutter Lohmann. 
„Ja, sehr schlecht“, bestätigte der Arzt nach einem Blick auf das Kind. 
droht Erstickungsgefahr. Wir müssen einen Versuch mit der Tracheotomie 
machen.“ 
„Wat is dat?“ fragte Lohmann und wischte sich dicke Tropfen Angstschweiß 
von der Stirn. 
„Luftröhrenschnitt“, erklärte der Arzt kurz. 
„Nee, nee,“ schrie der Bauer, sich windend, „dat kann ick nich lieden, dat 
Se mi dat Kind vör mine Oogen dodstäkt.“ Er hatte gehört, daß in Wiechel 
ein Kind bald nach dieser Operation gestorben waͤr. 
Der Arzt zuckte die Achseln und sah nach dem Gesicht des jungen Bauern. 
Der stand fassungs- und ratlos da. Seine Mutter hing zusammengebrochen 
auf einem Stuhle. 
Da hob die junge Frau, die tief über ihr Kind gebeugt an seinem Bett— 
chen saß, den Blick, sah den Arzt ruhig an und sagie: ,Herr Doltor, tun 
Sie, was Ihre Pflicht ist.“ 
Der Arzt fing an, seine Vorbereitungen zu treffen. 
Als er sein Operierbesteck öffnete und die blanken Messer zum Vorschein 
kamen, wankte der alte Lohmann auf ihn zu, hielt seine Hände fest und rief 
verzweifelt: „Nee, nee, nee, Herr Doktor!“ 
Der Arzt fragte ungeduldig werdend: „Meine Herrschaften, wer hat hier 
denn nun eigentlich das Regiment?!“
	        
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