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Hauswirtschaftliche Tätigkeit. 
„Aber Madam, ich möchte bitten, diese Kunstwerke von den Wänden zu 
entfernen.“ 
Die Madam ärgert sich zum erstenmal über Unseren jetzigen Herrn. 
„Unserem vorigen Herrn gefielen die Bilder sehr gut“, sagt sie etwas schnippisch; 
„aber die Jungfer soll sie fortnehmen, ganz wies beliebi.“ 
„Ich bin Ihnen sehr verbunden,“ sagt Unser jetziger Herr und fügt hinzu: 
„Da hält soeben eine leere Droschke; ich werde jetzt meine Sachen holen; in 
einer halben Stunde bin ich zurück. Ach so, — welche Hausnummer?“ 
„Zweiundzwanzig!“ sagt die Madam. „Sie werden bei Ihrer Rückkehr 
alles in der besten Ordnung finden. Bitte, stoßen Sie sich nicht; die Tuͤr 
ist etwas niedrig.“ 
Unser Herr, der sich bereits gestoßen hat, zieht den Hut wieder von der 
Vase in die Höhe, stürzt die Treppe hinunter, wirft sich in die angeschrieene 
Droschke und rasselt davon. Madam sieht ihm aus dem Fenster nach, bis 
das Fuhrwerk um die Ecke verschwindet, und tritt dann zurück in die Mitte 
des Zimmers. Mit einem Wiegen des Kopfes, das für Ünsern Herrn nicht 
viel Gutes bedeutet, berechnet sie, welcher Vorteil aus ihm zu ziehen sei, und 
grübelt nach über seine schwachen Seiten. Klotilde mit dem Schoßhund lächelt 
dumm herab von der Wand, die Sehnsucht glotzt verwundert-schnupfig auf 
den blauen Klex des Meeres, Gretchen zerpflückt ihre Sternblumen: er liebt 
mich, er liebt mich nicht, er liebt mich. „Unser Herr liebt meine Bilder nicht,“ 
r die Madam, „bah! Karl, Karl, komm' herein, wir haben wieder einen 
errn!“ 
Karl, der Gemahl, erscheint scheu und schäbig auf der Türschwelle, be— 
gleitet von einem ganzen Haufen Kinder; und ein verwirrtes Getöse und der 
wiederholte Ruf: Wir haben wieder einen Herrn! Wir haben wieder einen 
Herrn! erfüllt den Raum. Dann geht die Purn Familie in krampfhafter 
Aufregung ans Werk, die vermietete Wohnung in einen bewohnbaren Zustand 
zu versetzen. Man hängt den Hausschlüssel hinter die Tür und stellt eine 
gefüllte Wasserflasche nebst einem Glas auf einen Seitentisch. Die hinaus— 
gewiesenen Damen steigen herab von den Wänden, und an ihrer Stelle er— 
scheinen auf der verblaßten Tapete vier dunllere Flecken, die dem Schönheits— 
sinn Unseres Herrn auch nicht zum besten gefallen werden. 
„Unser Herr! Unser Herr!“ flüstert plötzlich der Gemahl. „Unser Herr! 
Unser Herr!“ schrillen alle Kinder. Eine Droschke hält wieder vor der Haus— 
tür, und der Kutscher sitzt nicht auf dem sondern auf einem Lederloffer, 
der seinen rechtmäßigen Platz einnimmt. ie mit einem Zauberschlag ist die 
Familie aus dem Zunmer Unseres Herrn verschwunden, und nur die Madam 
hat darin standgehalten, wie es ihre Pflichi und ihr Recht ist. Ein auf— 
gegriffener Bummler schleppt die Habseligkälen Unseres Herrn, welcher den 
Kutscher bezahlt, die Treppe hinauf. Er setzt den bereits erwähnten Koffer 
mit einem Knax auf den Boden ab und ächzt und stöhnt und schnauft gräßlich. 
Unser Herr erscheint ebenfalls, einen Reisesack in der einen Hand, eine Hui— 
schachtel in der andern, ein Bündel Pfeifen Spazierstöcke, Schirme, Schlaͤger 
unter dem Arm tragend; — Unser Herr ist da] Unser Herr ist eingezogen; — 
Unser Herr ist gegangen; es lebe uͤnser herri N. B. wenn die hochlöbliche 
Polizei seine Papiere in Ordnung gefunden und ihm eine Aufenthältskarte 
gegeben hat. Es lebe Unser Herr, der Kandidat Hans Unwirrsch aus Neu— 
stadt! Er fand in der Grinsegasse das, was er suchte, eine Dachstube zu 
einem merkwürdig billigen Preise, und zog auf der Stelle ein. 
Wilhelm Raabe. „Der Hungerpastor“.
	        
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