A. Sagen und Erzählungen.
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Vorrücken, der Feind zieht sich zurück — „Nun, mehr brauche ich nicht zu
wissen. Gottlob, das Vaterland ist freil“ Damit zog er die Mütze über die
Augen und war in wenigen Minuten entschlafen.
2. Diensttreue.
Als die Festung Gibraltar belagert wurde, ritt der berühmte englische
General Elliot selbst in den Festungswerken herum, um sich mit eigenen Augen
zu überzeugen, ob seine Befehle auch überall ausgeführt würden.
Bei dieser Gelegenheit traf er einen deutschen Wachposten, der weder sein
Gewehr ergriff, noch dasselbe zum schuldigen Gruße präsentierte, sondern
unbeweglich wie eine Bildsäule dastand.
„Kennst du mich nicht, mein Sohn?“ fragte der leutselige General, —
„oder warum beobachtest du sonst deine Pflicht nicht?“
Der Soldat erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen: „Ich kenne Euer
Excellenz und meine Pflicht sehr gut; aber soeben sind mir einige Finger der
rechten Hand abgeschossen worden, daher bin ich außer stande, das Gewehr
zu präsentieren.“
„Warum eiltest du nicht, dich verbinden zu lassen?“ —
„Weil es in Deutschland nicht erlaubt ist, seinen Posten eher zu verlassen,
als bis man abgelöst wird.“
Mit sichtbarer Rührung stieg der General vom Pferde und sagte: „Gieb
mir dein Gewehr und die Patrontasche, ich werde dich ablösen, und du suche
den nächsten Wundarzt auf, daß er dich verbinde.“
Der Soldat gehorchte, ging aber doch erst auf die nächste Wache, meldete
dort, der General stehe auf Posten, man solle ihn nur ablösen, und dann erst
ließ er seine verstümmelte Hand verbinden.
3. Miedrich II. und sein Kammerdiener.
R. F. Eylert.
S*
Als ich — so erzählte Friedrichs Kammerdiener Heise — in der letzten
Nacht beim sterbenden Könige an seinem Bette wachte, forderte er, wie aus
tiefen Träumen erwachend, zu trinken. Friedrich war so schwach, daß er sich
nicht mehr allein aufrichten konnte. Mit meinem rechten Arme hob ich ihn,
unter das Kopfkissen fassend, sanft in die Höhe, und mit der linken Hand
hielt ich ihm das Glas Limonade vor. Aber sein Haupt sank auf meinen
linken Arm, und ohnmächtig schlief er, ohne trinken zu können, wieder ein.
Meine Stellung war höchst unbequem, und ich durfte nicht zucken, damit der
liebe Herr nicht aufwachte. Eine halbe Stunde mochte ich so ausgehalten haben,
als ich, da ich es nicht länger konnte, meinen rechten Arm zurückziehen und
den König wieder hinlegen mußte. Er kam wieder zu sich und sagte: „Heise,
du wolltest mir ja zu trinken geben! — „Ja, Euer Majestät; aber indem ich
Sie mit meinem rechten Arme in die Höhe richtete, sind Sie auf meinem
linken, das Glas vor dem Munde, wieder eingeschlafen.“ — „Wie lange hat
das gedauert?“ — „Wohl eine halbe Stunde.“ — „Armer Junge, da hast
du einen bösen Stand gehabt. Wie hast du das so lange ausgehalten? Ich
danke dir Wie er getrunken hatte und mir das Glas zurückgab, strich er
anft mit seiner schon kalten Hand meine Wangen und sagte: „Gieb mir meine
Beinkleider!“ Nachdem ich sie ihm gereicht, befahl er mir, die Börse heraus—