Full text: Lesebuch für die Königlich Preußischen Unteroffizierschulen

D. Bilder aus der Erd- und Völkerkunde. — b. Bilder aus der Fremde. 169 
feldern. Anfangs begleiten ihn zwar noch alte Bekannte: Apfelbäume, Birnen⸗ 
bäume, Buchen und Eichen; aber je weiter er reist, je mehr bleibt einer nach 
dem andern zurück, bis er zuletzt nur noch die düstere Tanne und die zier⸗ 
liche Birke neben sich schaut; aber ehe er sich's versieht, sind auch diese zu 
Zwergen zusammengeschrumpft, die kauernd hinter Klippen und in Schlichtn 
Schuß suchen. Hält er noch immer nicht an in seiner Wanderung, so nehmen 
auch die Zwerglein von ihm Abschied, und nun erinnert ihn nur noch Weiden⸗ 
gebüsch an sein Heimatland, bis auch dieses verschwindet, Heidekraut das end⸗ 
lose Wellenland überzieht, Moose und Flechten den Boden polstern und als 
die einzig Unüberwindlichen siegreich über die Feinde alles Lebens, über 
Frost und Schnee, triumphieren. Das Blöken der Schaf⸗ und Rindviehherden 
3 sein Ohr schon längst nicht mehr vernommen, schöne, kräftige Hirten sein 
Auge schon längst nicht mehr gesehen. Die Menschen, die er hier und dort 
etwa antrifft, kommen ihm fremdartig vor, kleiner als daheim, mit einem andern 
Schnitte der Kleider und einem andern Schnitte des Gesichts. Es sind 
Nappländer, mit welchen er im Norden von Schweden und Norwegen Ve— 
lanntschaft macht. — 
Auch mit dem Renntiere wird er Freundschaft schließen müssen; denn 
Uhne dieses Tier könnte er in Lappland gar nicht leben. Es gehört zu dem 
Hirschgeschlechte und hat unter allen Hirscharten die gedrungenste und kräftigste 
Gestall Sein Hals ist kurz und muskulös, sein Huf glatt, seine Beine sind 
aus starken Knochen zusammengefügt; mit einem Worte, der ganze Bau dieses 
Hirsches ist zum Erlragen von Beschwerden, zum Ziehen von Lasten ein— 
Eerichtet. Wie kein anderes Tier, weiß es sich auf einem Boden zu rnähren, 
der acht Monate des Jahres mit Schnee und Eis bedeckt ist. Das Männchen, 
wie das Weibchen, hat ein Geweih, während bei den übrigen Hirscharten uur 
das Männchen auf diese Zierde stolz sein kann; und da manche dieser Geweihe 
lüufzig Pfund wiegen, so ist daraus schon zu ermessen, wie kräftig das Tier 
sein muß. Hunger erträgt es ohne viel Beschwerde; Moos ist sein Lieblings— 
Ericht, und trotz dieser kärglichen Nahrung übexwindet es viel besser als das 
Perd alle Schwierigkeiten, welche Schnee- und Eisfelder bieten. Unglaub— 
liches vermag es vor dem Schlitten zu leisten. Wegestrecken, wozu der Lappe 
m Sommer drei Tage gebraucht, durchläuft es im Winter in einem Tage. 
ur gegen die Wärme ift es empfindlich Kommt daher die kurze Sommer— 
Vi so ist der Lappe gezwungen, mit seinem Renntiere aus den warmen 
ilern auf die Berge zu flüchten, und selbst da sucht es sich gern ein Schnee⸗ 
9 zum Ruhen aus. So ist der Bewohner des Nordens von Europa ein 
ade geworden, weil die Renntiere, welche ihm Kleidung und n 
u Nomaden sind. Im Winter lebt er in den Thälern, im Sommer 
lia er seine Wohnung in den Bergen auf, Birkenstämme bilden das Gerüst, 
esnuiersele die Decke des Zeltes, in welchem nicht nur Weib, Kind und 
zunn sondern auch die Hunde wohnen. Diese treiben jeden Tag die Herde 
hmelten zusammen, und wie der Lappe keine andere Milch als die seiner 
ben en Hirsche kennt, so kennt er auch kein anderes Bett als das Fell der⸗ 
nenn Seine Herden sind sein einziger Reichtum, und Glück und Unglück 
n n von dem Besitze eines einzigen Tieres ab. Wer Herr einer Herde 
ader 0 Renntieren ist, gilt für einen reichen Mann. Wird dem Lapp⸗ 
en ein Kind geboren, fo beschenkt er es mit einem Renntierkalbe; bekommt 
es den ersten Jahn, joe wird e ieder wi ine soinen ehente bern
	        
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