Full text: Lesebuch für die Königlich Preußischen Unteroffizierschulen

229 
* 
* 
II. Ungebundene Form. 
Glücks gewesen war. Friedrich Wilhelm sagte: „Mein Großonkel (Friedrich 
der Große) hat gesagt: Ein tüchtiger Schatz ist die Stütze und Grundlage 
des preußischen Staates. Nun haben wir aber weiter nichts als Schulden. 
Ich will so sparsam sein, als es möglich ist. Der König wird mit den Ein— 
künften des Prinzen auskommen müssen.“ Er, wie Luise blieben schlicht und 
einfach in ihrer Lebensweise. Als der Kammerdiener vor dem neuen Könige 
beide Flügelthüren aufriß, fragte dieser: „Bin ich denn jetzt so dick geworden, 
daß eine Thür für mich zu enge ist?“ Als der Küchenmeister zwei Gerichte 
mehr auf den Tisch brachte, weil der Kronprinz nun König wäre, sagte 
dieser: „Man glaubt wohl gar, ich habe seit gestern einen größern Magen 
bekommen!“ 
Nach wie vor gingen Friedrich Wilhelm und Luise in Berlin oft Arm 
in Arm Unter den Linden und im Tiergarten spazieren ohne alles Gefolge; 
nur das Volk drängte sich jauchzend um das junge Königspaar. Den Berliner 
Weihnachtsmarkt besuchten beide Majestäten mit ihren Kindern; sie kauften 
Spielzeug und Pfefferkuchen und beschenkten Kinder oder Mütter, die für 
ihre Kinder einkauften. Während der König mehr zurückhaltend und wort— 
karg blieb, war Luise freundlich und liebreich gegen jedermann. Oft hob sie 
Kinder, die am Wege spielten, liebevoll zu sich empor und herzte sie. Sie 
neigte sich zu dem Bettler und zu dem alten Mütterchen am Wege, und wo 
eine Gabe nicht nötig war, da hatte sie für jeden ein freundliches Wort. 
Einst lief ihr im Schloßgarten zu Charlottenburg ein Knabe aus Berlin beim 
Pferdespielen in die Hände, weil er sie nicht gesehen hatte. Die Hofdame, 
welche die Königin begleitete, wollte ihn tüchtig ausschelten; aber die Königin 
unterbrach sie mit den Worten: „Lassen Sie nur! Ein Knabe muß wild 
sein.“ Und zu dem Kleinen sagte sie: „Renne nur, mein Söhnchen, aber 
falle nicht und bestelle einen schönen Gruß von mir an Deine Eltern.“ 
So wurde das königliche Haus mit seiner ehelichen Liebe und Treue, 
wie mit seiner Kindererziehung, der Stolz und die Freude des ganzen Landes, ein 
Vorbild, dem viele nachlebten. Aber diese sonnigen Tage stillen Glücks gingen 
bald zu Ende. Mit dem Jahre 1806 brach durch Napoleon das Unglück 
über das Land und die Königsfamilie herein Und ehe noch Preußen sich 
erhob und das Joch des Zwingherrn abschüttelte, war die Königin schon 1810 
zu ihrer Ruhe eingegangen. 
24. Züge aus dem Leben des Königspaares. 
a. Die Kirschen. 
W. O. v. Horn (Wilhelm Ortel). 
Als der König noch ein Knabe von zehn Jahren war, brachte an einem 
Tage des Monats Januar ein Gärtnerbursche ein Körbchen mit schönen, 
reifen, im Treibhause gezogenen Kirschen. Sie sahen unendlieb lockend 
aus. Beim Anblicke der köstlichen Früchte, die der Prinz ohnehin sehr 
liebte, wünschte er, sie zu geniessen. Der Kammerdiener Wolter sagte: 
„Königliche Hoheit, sie sollen fünf Thaler kosten, denn es- ist eine großse 
Seltenheit in dieser Jahreszeit.“ 
„Wie?“ rief verwundert der Prinz „Eine Handvoll Kirschen fünt 
Thaler?“ — Rasch und entschieden drehté er sich um und sagte fest: 
„Ieh mag sie nicht!“ — Und der Gärtnerbursche entfernte sich mit seinen 
Kirschen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.