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IL. Ungebundene Form.
47. Die Belagernng von Paris.
Nach der Schlacht bei Sedan lag den Unsrigen der Weg nach Paris
offen. Es kam nun darauf an, dies einzunehmen. Es war Mitte September,
als der König mit den Armeen der beiden Kronprinzen heranrückte. Die
Preußen, Sachsen, Bayern und Württemberger umfaßten die Stadt und deren
Außenwerke in einem weiten Bogen wie mit einem eisernen Gürtel. Nun
waren die Einwohner samt allen denen, die aus der Umgegend sich in die
Stadt geflüchtet hatten, eingeschlossen. Schiffe und Wagen, die sonst Lebens—
mitel und Brennstoff eingeführt hatten, konnten jetzt nicht mehr hinein. Man
hatte sich zwar in Eile möglichst gut mit Mundvorrat versehen und ungeheure
Vorräle an Getreide, Fleisch u. s. w. aufgehäuft. Aber zwei Millionen Menschen
brauchen auch viel. Was verzehrt eine solche Menschenmenge nicht schon an
einem Tage! Da durfte man wohl erwarten, daß bald Mangel eintreten
werde und daß der bittere Hunger die Festung trotz ihrer Stärke zur Über⸗
gabe nötigen werde. Daher beschränkte sich der König darauf, die Stadt
vollständig abzusperren. Weil man zu Wasser und zu Lande weder aus noch
ein konnte, so blieb denen in der Stadt nichts übrig, als den recht schwind⸗
ligen und gefährlichen Weg durch die Luft zu wählen. Mächtige Ballons
dienten als Posten. Kühne Luftschiffer stiegen in diesen Fahrzeugen in die
Höhe und segelten über die Belagerer hinaus ins Land hinein. Manchmal
ging die Fahrt weiter als man wollte. So wurde ein solcher Ballon durch
Frankreich, Belgien, Holland und über die Nordsee hinweg bis Norwegen
getrieben. Unsere Leute paßten auf diese Posten sehr auf und hatten besondere
Kanonen, scherzhaft Vogelflinten genannt, mit denen sie nach diesen Vögeln
schossen. Manchen Ballon bekamen sie auch ohne dies: dann bemächtigten sie
sich der Personen und Briefschaften, welche durch die Luftpost befördert wurden.
Drin in Paris fingen Butter, Milch, Rind- und Hammelfleisch bald an,
knapp zu werden. Da wurden Pferde geschlachtet; selbst Hunden, Katzen und
Raiten stellte man nach und verzehrte sie als Leckerbissen. Einen Sperling
bezahlte man mit 40 Pfennigen. Trotz alledem ergab sich Paris nicht. Es verging.
nicht bloß der Oktober, sondern auch der November; Weihnachten kam; das
Jahr 1870 verging und der Neujahrsmorgen erblickte noch das belagerte
Paris und ringsum die deutschen Armeen.
Es trat starker Frost ein. Schnee bedeckte Stadt und Flur. Die Pariser
hatten nicht genug Holz, die Stuben recht zu heizen. Die strenge Kälte war
cine Plage für die daran nicht so wie die Deutschen gewöhnten Franzosen.
Aber immer zeigte Paris noch keine Neigung, sich zu ergeben.
Der Oberbefehlshaber der deutschen Armeen hatte während der Belagerung
sein Hauptquartier in Versailles.“)
Um die schöne Stadt Paris zu schonen und nicht tausende friedlicher
Bewohner dem Tode preiszugeben, wollte der König in seiner Milde und
Herzensgüte die Stadt nicht beschießen lassen. Er hoffte, daß der Hunger
ein unfreiwilliger Bundesgenosse der Deutschen werden, die trotzigen Pariser
demütig machen und zur Unterwerfung nötigen werde. Daher begnügte man
sich, die Folgen der Absperrung abzuwarten und die Stadt streng zu bewachen.
In derselben waren aber bedeutende Heeresmassen. Man hatte wohl 400 000
Mann bewaffnet. Und wenn auch nicht alle gute Soldaten waren, so wurde
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