V. Bilder aus der vaterländischen Sage und Geschichte.
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E. Bilder aus der vaterländischen Sage
und Geschichte.
1. Die Siegfriedsage.
(Nach dem Mbelungenliede.)
August Friedrich Christian Vilmar—
Im Burgundenlande auf der alten Königsburg zu Worms an dem
Rheine wuchs eine edle Königstochter nach des Vaters frühem Tode zur
blühenden Jungfrau heran, voll Liebreiz und Anmut. Leise, ahnungsreiche
Träume umschweben das sinnende Haupt der lieblichen Kriemhild in der stillen
Abgeschiedenheit, in welcher sie der edeln Zucht und Sitte ihrer Zeit gemäß
ihre Kindheit und erste Jugend verlebte. Einen Falken, so zeigt ihr ein
Traumgesicht, zieht sie auf und pflegt ihn als ihren Schützling manchen Tag
T da stürzen sich zwei Adler herab und erdrücken mit ihren grimmen Klauen
das zarte Tier vor ihren Augen. Schmerzlich bewegt erzählt die Erwachende
den Traum der lieben Mutten, „Der Falke“, deutet diese das stille, süße und
bange Ahnen der Tochter, „der Falke ist ein edler Mann, dem deine Zukunft
bestimmt ist; wolle Gott ihn behüten, daß du nicht früh ihn verliersil“ —
„Was sagt Ihr, liebe Mutter, mir von einem Manne?“ exwideri die Tochter;
„ohne Minne eines Helden will ich bleiben, meine Jugendschönheit bewahren
bis zum Tode, daß nicht meiner Liebe mit Leide zuletzt gelohnet wird.“ —
MNun, versprich es nicht zu sehr — wirf es nicht allzuweit weg!“ entgegnete
die Mutter; „willst du jemals von Herzen froh werden, so geschieht es von
Mannes Minne. Du wirst eines edeln Helden schönes Weib.“
GSeiter in fröhlicher Jugend, stark in frischem Mannesmute und gewaltig
i kühner Kraft ist inzwischen Siegfried im Niederland, zu Santen am Rheine,
Siegmunds und Siegelindens Sohn, schon als Knabe zum Helden heran—
ewachsen und schon durch manche Lande hingezogen, um freudig seines riesigen
Leibes wunderbate Stärle zu versuchen; da höͤrte er die Kinde von der
schönen Jungfrau zu Worms am Oberrhein, und der schönste und frischeste,
der freudigste und herrlichste der Heldenjünglinge seiner Zeit zog aus der
Heimat mit seinen Mannen, um zu Worms zu werben um die schönste, an—
mutigste und züchtigste Jungfrau, die in allen Landen zu finden war. Ein
Ton der waruenden Ahnung läßt sich auch hier vernehmen von den Lippen
des weisen Vaters, König Siegmunds; eine Thräne des Schmerzes um das
liebe Kind, das fie zu verlieren fürchtet, fällt aus Siegelindens Auͤgen auf die
treue, starke Hand des Sohnes — aber der Sohn zieht dahin, mit reicher
Gabe von Vater und Mutter entsendet. Vor der Königsburg zu Worms
eiten die Fremden auf, Riesen gleich in männlicher Jugendkraft, in nie ge—
ehenem, herrlichem Schmucke der Rüstungen und der Rosse. Niemand kennt
die vor dem Königssaale am Rheinufer haltenden Mannen, niemand ihren
dFührer, den Jüngling von königlicher Gestalt. Da wird nach Hagen von
Troͤnei gesandt, dem alle fremden Lande kund sind; aber auch er hat diese
Helden noch niemals gesehen. „Fürsten oder Fürstenboten müssen es sein“,
sagt er; von wannen sie immer kommen, es sind hochgemute Helden.“ Bald