Full text: Klasse 9 (zweites Schuljahr) (Teil 1, [Schülerband])

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114. Der Sperling. 
Hermann Wagner. 
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Der Sperling bleibt zeitlebens am liebsten an dem Orte, wo er 
aufgewachsen ist; er zieht den Winter über nicht fort, ist also einer von 
den wenigen Vögeln, die zu jeder Jahreszeit bei uns aushalten. So 
macht er sich auch mit seiner Umgebung bis ins kleinste vertraut, kennt 
genau alle Plätze, wo es irgend etwas für seinen Schnabel gibt, und 
beachtet ebenso aufmerksam alles, was ihm Gefahr bringen könnte. Er 
hat die Handlungen der Menschen scharf im Auge und merkt bald, ob 
es ihm gilt oder nicht. Bückt sich der Knabe nur nach einem Steine, 
so ruft der Spatz schon seinen Genossen den Warnruf „Terrr!“ zu und 
bringt sich in Sicherheit, ist aber kurz darauf auch wieder da, wenn die 
Gefahr vorüber zu sein scheint. Er unterscheidet die Personen, welche 
ihm gefährlich sind, genau von andern, die er nicht zu fürchten hat. 
Frauen und Mädchen scheut er weniger als Männer, Knaben am meisten. 
Naht er sich dem Fenster, auf dessen Sims etwa Brotkrümchen gestreut 
sind, so genießt er nur dann mit Ruhe, wenn er das Fenster geschlossen 
sieht; aus der Hand nimmt er das Futter nicht. 
Am liebsten siedelt er sich in Dörfern an, in deren Umgebung 
viel Getreidebau getrieben wird; in Ortschaften, die mitten im Walde 
gelegen sind, ist er dagegen seltener. Er vereinigt sich zur Zeit, wenn 
das Getreide reift, mit seinen Genossen. Der ganze Schwarm fliegt 
dann vormittags und nachmittags aufs Feld und hält mittags und 
nachts in Baumkronen oder Hecken gemeinschaftliche Ruhe. Vor dem 
Einschlafen wird jedoch erst großes Geschrei und Gelärm vollführt. Die 
Getreideschober, Scheunentennen und Kornböden sind während des 
Winters für ihn eine unerschöpfliche Fundgrube, und zum Verdruß 
der Hausfrau stellt er sich beim Füttern des Hausgeflügels regelmäßig 
als ungebetener Gast in zudringlichster Weise ein. Hier schnappt er 
einer Taube das Gerstenkorn vor dem Schnabel weg, gleich darauf 
weicht er dem Schnabelhiebe eines neidischen Huhns aus und schlüpft 
behende zwischen den Füßen des Truthahns hindurch, fortwährend aber 
für seinen Magen sorgend. Verscheucht man die zudringlichen Mitesser, 
so schwirren sie vielleicht mit lautem Gezwitscher bis aufs nächste Dach, 
sind aber, frech und unverschämt, sofort wieder zurück, sobald die Haus— 
frau den Rücken kehrt.
	        
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