Object: Geschichtliche Erzählungen für die Unterklassen sächsischer Realschulen und verwandter Lehranstalten (Vorstufe)

Von Gudrun. 
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indem sie rief: „Nun taugt mir nicht mehr solcher Dienst, seit mich 
zwei Könige geküßt haben!" 
Als sie am Abende ohne Wäsche heimkehrte, befahl die wütende 
Gerlinde, Gudrun zu binden und mit Ruten zu Peitschen. „Haltet ein, 
o Königin", sprach die Geknechtete, „ich will Hartmuts Weib werden!" 
Da ward Gerlinde froh, ließ Gudrun ein kostbares Gewand bringen 
und befahl, die geraubten Jungfrauen zu ihr zu führen. Als Gudrun 
mit den Hegelingentöchtern allein war, sprach sie: „Freuet euch, heute 
habe ich meinen Bruder und meinen Verlobten geküßt, morgen sind 
wir frei." 
In der Morgendämmerung eilte die treue Hildburg ans Fenster, Die Befreiung, 
da sah sie den Strand mit den Scharen der Hegelingen bedeckt. „Wacht 
auf, o Herrin, die Retter sind da!" rief sie der schlummernden Gudrun 
zu. Mit klopfenden Herzen standen nun die beiden Jungfrauen am 
Fenster. Da hörten sie den tapfern Wate das Sturmhorn blasen, auch 
vernahmen sie den Wächterruf vom Burgturm und den Waffenlärm der 
Burgleute, die sich eiligst rüsteten. Mutig ritt Hartmut mit seinen 
Mannen zum Tore hinaus, den überlegnen Feinden entgegen. Ein 
fürchterliches Ringen begann, bald siel der alte König Ludwig von 
Herwigs Hand. Als die teuflische Gerlinde sah, daß die Feinde vor- 
drangen, wollte sie Gudrun mit ihren Jungfrauen töten lassen, doch 
der edle Hartmut hinderte es. Von neuem warf er sich auf die 
Feinde, im dichtesten Kampfgewühl ward er gefangen und auf ein 
Schiff gebracht. 
Noch war die Burg nicht bezwungen. Da lief Wate mit seinen 
Mannen gegen das Burgtor an, krachend sank es unter den Axthieben 
zusammen, mit Siegesgeschrei stürzten die Hegelingen in den Hof. 
Horand eilte auf den höchsten Turm und pflanzte dort das Sieges- 
banner auf. Aber Wate lief wie ein wütender Eber durch die Räume 
des Schlosses, bis er die böse Gerlinde fand. „Nie mehr wird Euch 
meine Herrin die Kleider waschen!" höhnte er sie und schlug ihr das 
Haupt ab. 
Damit war die Blutarbeit getan, freudig begrüßten die Sieger die 
gerettete Gudrun mit ihren Jungfrauen. 
Bald schwellte der Wind die Segel, und die Hegelingen fuhren Frohe Heim- 
heimwärts, kostbare Beute trugen ihre Schiffe übers Meer: außer der ^rt' 
geretteten Gudrun mit ihren Mägdlein auch den gefangnen König 
Hartmut und Ortrun, feine Schwester, die immer freundlich zu Gudrun 
gewesen war.
	        
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