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Vierter Zeitraum.
iiön und des griechischen Sophisten Nicetas ist nicht darin
zu verkennen. — Seit dieser Zeit artete die Beredsamkeit
in den Lobreden auf die Imperatoren immer mehr in niedrige
Schmeicheleien und in schimmernden Prunk ans, wobei die
hohe Einfachheit und Kraft, die in Cicero's Reden das Ge¬
fühl ansprechen, sich unaufhaltbar verloren. — In der
Theorie der Beredsamkeit übertraf Qu in c tili an
(geb. 62, ss 96 n. C.) alle seine Vorgänger, selbst den
Cicero, theils in Hinsicht auf Vollständigkeit der Theorie,
theils in der Mannigfaltigkeit der beigebrachten Beispiele
und der eigenen Erfahrungen. Sein Styl ist dem des Cicero
nachgebildet; in der Theorie verarbeitete er aber die Ansich¬
ten der Griechen zu einer schönen, faßlichen Form.
267.
Philosophie.
In der Philosophie kennt, nach dem Cicero, die
römische Literatur nur noch einen bedeutenden Schriftsteller,
den Lucius Annans S e u e c a (geb. 2, t 65 n. C.),
dem es aber an reiner philosophischer Darstellung fehlt.
In einer rhetorischen Sprache, verbrämt mit einzelnen sinn¬
reichen Sprüchen und Blumen, empfahl er das stoische Sy¬
stem, ohne doch selbst in der Nahe des Hofes des Clau¬
dius und Nero immer den Grundsätzen in seinen Hand¬
lungen treu zu bleiben, die er lehrte. Er trug wesentlich
dazu bei, den Geschmack zu verderben, weil die spätern
Schriftsteller seinen Spuren folgten, doch ohne ihn zu er¬
reichen. — Selbst seine dichterischen Erzeugnisse tragen
jenes rhetorische Gepränge, wiewohl die unter dem Namen
des Seneca vorhandenen Trauerspiele ihm nur zum
Theile, zum Theile dem Rhetor Seneca zugehören, die
Octavia und der Herkules aber von keinem von beiden zu
seyn scheinen.
268.
Drama.
Diese Tragödien scheinen überhaupt wenig Wirkung auf
ihr Zeitalter gemacht zu haben. Bei den Römern war die