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falls die Furcht an: er wollte mit dem grimmigen Tiere nichts zu thun haben
und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und da sie merkte, daß es ihm
in seiner Haut nicht wohl zu Mute war, sprach sie: „Bär, du machst ja ein
gewaltig verdrießlich Gesicht, wo ist deine Lustigkeit geblieben?“ „Du hast gut
reden,“ antwortete der Bär, „es sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen in
dem Hause des Roten und wir können es nicht herausjagen.“ Die Biene sprach:
„Du dauerst mich, Bär, ich bin ein armes, schwaches Geschöpf, das ihr im Wege
nicht anguckt, aber ich will sehen, ob ich euch helfen kann.“ Sie flog in die
Fuchshöhle, setzte sich der Ziege auf den glatten geschorenen Kopf, und stach sie
so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrie, und wie toll in die Welt
hineinlief, und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.
F
120.
Der Tanzbär.
Von Gotthold Ephraim Lessing, Sämtliche Schriften, J. Seite 102.)
Esn Tanzbär war der Kett entrissen,
kam wieder in den Wald zurück
und tanzte seiner Schar ein Meisterstück
auf den gewohnten Hinterfüßen.
„Seht,“ schrie er, „das ist Kunst, das lernt man in der Welt!
Thut mir es nach, wenn's euch gefällt
und wenn ihr könnt!“ Geh! brummt' ein alter Bär,
dergleichen Kunst, sie sei so schwer,
sie sei so rar sie sei,
zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei.
121.
Der Tod des alten Eberhard Stilling.
(Aus Heinrich Stillings“ Jugend. Lebensgeschichte. Stuttgart 1835. Seite 85 ff.)
DEr alte Stilling fing nunmehr an, seinen Vaterernst abzulegen und
gegen seine wenigen Hausgenossen zärtlicher zu werden; besonders hielt er Hein—
richen, der nunmehr elf Jahre alt war, viel von der Schule zurück und nahm
ihn mit sich, wo er seiner Feldarbeit nachging, redete viel mit ihm von der
Rechtschaffenheit eines Menschen in der Welt, besonders von seinem Verhalten
gegen Gott, empfahl ihm gute Bücher, sonderlich die Bibel zu lesen, hernach
auch, was Doktor Luther, Calvinus, Heolampadius und Bucerus geschrieben
haben. Einstmalen gingen Vater Stilling, Mariechen und Heinrich des Morgens
früh in den Wald, um Brennholz zuzubereiten. Margarete hatte ihnen einen
guten Milchbrei mit Brot und Butter in einem Korb zusammen gethan, welchen
Mariechen auf dem Kopf trug; sie ging den Wald hinauf voran, Heinrich folgte
und erzählte mit aller Freude die Historie von den vier Heymonskindern, und
Vater Stilling schritt, auf seine Holzaxt sich stützend, seiner Gewohnheit nach
mühsam hinten darein und hörte fleißig zu. Sie kamen endlich zu einem weit
entlegenen Ort des Waldes, wo sich eine grüne Ebene befand, die am einen
Ende einen schönen Brunnen hatte. „Hier laßt uns bleiben,“ sagte Vater
Stilling und setzte sich nieder; Mariechen nahm ihren Korb ab, stellte ihn hin