Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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Erbarmen mit den andern Kindern gehabt, und sei herzugesprungen und habe 
geschrieen: Friß, Schlange, friß mich, aber laß die andern gehen! Da habe sich 
plötzlich die Schlange losgerollt, habe die andern laufen lassen, sei auf das Kind 
zugesprungen mit weit, weit offenem Maul und feurigen Augen, groß wie Pflugs⸗ 
räder. Und das Kindlein habe die Hände gefaltet und gebetet das „Walt Gott“, 
und die Augen zugethan und geglaubt, die Schlange habe es verschlungen in 
einem Schluck, und jetzt laufe sie davon oder fliege mit ihm durch die Lüfte. 
Da habe es endlich bei sich gedacht, es wolle doch die Augen aufthun und sehen, 
wie es im Bauche einer Schlange sei. Und da sei es heiter und hell gewesen 
und eine Sonne hätte geschienen, aber eine viel schönere als die, welche hier 
scheine, und auf den Armen eines Engels sei es gewesen, und der Engel habe 
gar hold und freundlich es angelächelt und ihm gesagt, es solle sich gar nicht 
fürchten, er führe es an einen gar schönen und guten Ort, wo es Freude haben 
werde, wie noch nie, und wo keine böse Schlange sei. 
Weit, weit sei er mit ihm geflogen, immer der schönen Sonne zu, so daß 
das arme Kind vor lauter Glanz die Augen wieder habe zuthun müssen. Da 
habe der Engel es endlich abgestellt in einen gar herrlichen Garten, wo lauter 
Dinge gewesen, die es nie gesehen, und wo es Blumen gesehen habe, schön wie 
Morgenrot und Abendrot, die einen Glanz gehabt, wie gewoben aus Sonnen— 
schein und Mondeslicht. Und viele tausend Engelein seien ihm zugesprungen 
und hätten ihm ihre Hände gegeben und ihm gesungen so schön, so schön, daß 
es ihm dünkte, der liebe Gott habe diese selbst singen gelehrt. Aber unter all 
den Engelein sei keins der Kinder gewesen, die es hier von der Schlange ge— 
rettet, keins, das es gekannt. Da habe es zu weinen angefangen und gejammert, 
es möchte doch zu seinen kleinen Kindern, sonst könnte ja vielleicht die Schlange 
sie doch noch fressen. Da habe eine Stimme, die nicht von hieher, nicht von 
dorther, sondern aus jeder Blume, aus Abendrot und Morgenrot, aus Sonnen— 
glanz und Mondenschein zu kommen schien und die klang, wie Sonnenglanz 
klingen muß, es gefragt: Aber gefällt es dir hier denn nicht? es ist doch so 
schön hier! Ja, habe das Kind geantwortet, mir gefällt es hier, aber ich muß 
doch zu meinen Brüdern und Schwestern und den andern Kindern; was sollen 
die anfangen, wenn sie mich nicht mehr haben? Aber wenn ich die mitbringen 
darf, dann will ich mit ihnen kommen und mich freuen hier; o wie schön wäre 
das! Da habe es vernommen, das könne noch nicht sein; und wieder habe es 
geweint, daß man die Hände unter ihm hätte waschen können. Liebes Kind! 
habe darauf die Stimme gesagt, weine nicht, hier oben darf nicht geweint werden; 
aber wenn du nicht mehr weinen willst, so soll dir erlaubt sein, daß du unten 
kannst zu den andern Kindern, kannst ihnen Pfefferkuchen und andere gute Sachen 
bringen, aber nur denen, die auch gut sind, und alle die, denen du das Weinen 
abgewöhnen kannst, die will ich dann auch hieher nehmen, und dann kannst du 
ja immer bei ihnen sein, und alle sollt ihr mir lieb sein. Und die Stimme 
that dem Kinde so wohl, daß es nie mehr weinte und schön ward, wie die an— 
dern Engelein. Dann zog es auf die Welt und kramete“*“) den Kindern, und 
*) kaufte Geschenke.
	        
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