Bald zeigte sich das Blümchen in voller Pracht. Die Menschen,
die es sahen, freuten sich über die zarten, weißen Glöckchen mit den
sechs seinen Klöppelchen darin. „Nun wissen wir," sagten sie, „daß
der Frühling bald kommt. Er hat ja schon seinen Boten geschickt,
der mit den schneeweißen Glöckchen ihn einläutet."
Eines Tages aber, als das Blümchen noch nicht lange aufgeblüht
war, kam der Winter. Wie er das Glöckchen sah, rief er aus: „Ei,
nun ist auch mir eine Blume gewachsen, eine rechte Blume! Nun
kann der Frühling nicht mehr sagen, daß er erst die Blumen bringen
muß, weil ich nur Eisblumen an die Fenster malen kann, die keine
Farbe haben und so schnell zu Wasser werden. In meinem Schnee
ist die zarte Blume gewachsen; so soll sie denn auch Schnceblume
heißen."
Als das der Frühling hörte, kam er geschwind herzu und sprach
zum Winter: „Nicht dir, sondern mir gehört die Blume. Ich habe
sie aus dem Schlafe geweckt, und sie verkündet mit ihren Glöckchen,
daß ich bald komme. Sie soll daher Frühlingsglöckchen heißen."
Nun stritten sie heftig miteinander, wem die Blume gehöre, und
wie sie heißen solle. Der liebe Gott aber sagte: „Im Winter zwar
ist sie gewachsen, des Frühlings Hauch aber hat sie zur Blüte gebracht.
So mögen denn beide sie besitzen und sich ihrer freuen. Jeder darf
ihr von seinem Namen die Hälfte geben." Das geschah denn auch.
Und so heißt die schöne Blume des Winters, die den Frühling ver¬
kündet, „Schneeglöckchen" bis auf den heutigen Tag.
Noch Wagner und Lüben.
58. Zum Abschiede des Winters.
1. Herr Winter, du kalter, weißbärtiger Mann,
nun wandre von dannen, du eis'ger Tyrann.
2. Sonst wird noch Frau Sonne nach eigener Art
dir scheren den langen, schneeflockigen Bart.
3. O mach uns nur nicht solch ein brummig Gesicht,
als wolltest du uns beißen und kannst es doch nicht.