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132. Die Boten des Todes.
1. Vor alten Zeiten wanderte einmal ein Riese auf der großen Land⸗
straße, da sprang ihm plötzlich ein unbekannter Mann entgegen und rief:
„Halt, keinen Schritt weiter!“ „Was?“ sprach der Riese, „du Wicht,
den ich zwischen den Fingern zerdrücken kann, du willst mir den Weg ver⸗
tretenꝰ Wer bist du, daß du so keck reden darfst?“ „Ich bin der Tod,“
erwiderte der andre, „mir widersteht niemand, und auch du mußt meinen
Befehlen gehorchen.“ Der Riese aber weigerte sich und fing an, mit dem
Tode zu ringen. Es war ein langer, heftiger Kampf; zuletzt aber behielt
der Riese die Oberhand und schlug den Tod mit seiner Faust nieder, daß
neben einem Steine zusammensank. Der Riese ging seiner Wege, und
der Tod lag da besiegt und war so kraftlos, daß er sich nicht wieder
erheben konnte. „Was soll daraus werden,“ sprach er, „wenn ich da in
der Ecke liegen bleibe? Es stirbt niemand mehr auf Erden, und sie
wird so mit Menschen angefüllt werden, daß sie nicht mehr Platz haben,
nebeneinander zu stehen.“
2. Indem kam ein junger Mensch des Weges, frisch und gesund, sang
ein Lied und warf seine Augen hin und her. Als er den halb Ohn—
mächtigen erblickte, ging er milleidig heran, richtete ihn auf, flößte ihm
aus seiner Flasche einen stärkenden Trunk ein und wartete, bis er wieder
zu Kräften kam. „Weißt du auch,“ fragte der Fremde, indem er sich
aufrichtete, „wer ich bin, Und wem du auf die Beine geholfen hast?“
„Nein,“ antwortete der Jüngling, „ich kenne dich nicht!“ „Ich bin der
Tod,“ sprach jener, „ich verschone niemand und kann auch mit dir keine
Ausnahme machen. Damit du aber siehst, daß ich dankbar bin, so ver⸗
spreche ich dir, daß ich dich nicht unversehens iberfallen, sondern dir erst
neine Boten senden will, bevor ich komme und dich abhole.“ „Wohlan,“
sprach der Jüngling, „immer ein Gewinn, daß ich weiß, wann du kommst,
Und daß ich so lange wenigstens sicher vor dir bin.“ Er zog weiter, war
lustig und guter Dinge und lebte in den Tag hinein.
3. Allein Jugend und Gesundheit hielten nicht lange aus; es kamen
Krankheiten und Schmerzen, die ihn plagten. „Sterben werde ich nicht,“
sprach er zu sich selbst, „denn der Tod sendet erst seine Boten. Ich wollte
nur, die bösen Tage der Krankheit wären erst vorüber!“ Sobald er sich
gesund fühlte, fing er wieder an in Freuden zu leben. Da klopfte ihm
dines Tages jemand auf die Schulter. Als er um sich blickte, stand der
Tod hinter ihm und sprach: „Folge mir, die Stunde deines Abschieds
hon der Welt ist gekommen!“ „Wie,“ antwortete der Mensch, „willst
du dein Wort brechen? Hast du mir nicht versprochen, daß du mir,
Hirts Deutsches Lesebuch. Ausg. V. III. Neubtg.
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