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Ende Liegenden trieb der Schrecken, der sie von ihren Lager¬
stellen aufjagte, in die Flucht. Ohne zu wissen, von wem und
von welcher Seite der Überfall kam, liefen einige mitten unter
die Feinde. Ein grosser Teil geriet auf das Gebiet von Antium
und wurde von dieser Stadt aus überfallen und niedergemacht.
Unterdes wurde in Rom die Belagerung sehr lässig fort¬
gesetzt, und auf beiden Seiten verhielt man sich ruhig. Die
Gallier achteten nur darauf, dass von den Feinden keiner zwischen
ihren Posten durchschlüpfen möchte. Dennoch gelang es den
nach Veji Geflüchteten, Botschaft an den Senat zu senden, indem
ein kühner Jüngling, Pontius Cominius, sie zu überbringen wagte.
Er legte sich auf Kork und schwamm den Tiber hinunter zur
Stadt. Dann stieg er an der steilsten und deswegen von der
Wache nicht beachteten Seite des Felsens zum Kapitol hinan
und wurde vor die Väter geführt. Er sollte anfragen, ob die
nach Veji geflüchteten Krieger den Camillus an ihre Spitze stellen
dürften. So gross war damals die Achtung vor der gesetzlichen
Obrigkeit selbst in dem fast vernichteten Staate. Der Senat gab
den Bescheid, Camillus solle alsbald zurückgerufen und zum
Diktator ernannt werden; bis dahin möchten die Krieger zum
Feldherrn nehmen, wen sie wollten. Nun stieg der Bote auf
demselben Wege wieder hinab und kehrte nach Veji zurück.
Die Gallier aber hatten da, wo Cominius hinaufgestiegen
war, eine Menschenspur entdeckt und stiegen in einer sternhellen
Nacht an derselben Stelle empor. Zuerst liessen sie einen Un-
bewaffneten, den Weg zu versuchen, vorangehen; dann reichten
sie ihm ihre Waffen; bei schwierigen Stellen stützten und hoben
und zogen sie sich wechselsweise. Auf diese Art kamen sie in
so grosser Stille hinauf, dass sie von den Wächtern nicht be¬
merkt, ja dass nicht einmal die Hunde geweckt wurden, die doch
sonst jedes nächtliche Geräusch aufstört. Nur die der Juno
heiligen Gänse, an denen man sich trotz der grossen Hungersnot
nicht vergriffen hatte, gerieten in Bewegung. Dies rettete Rom.
Von ihrem Geschrei und Flügelschlagen erweckt, ergriff Marcus
Manlius, ein tapfrer Mann, der vor drei Jahren Konsul gewesen
war, die Waffen, rief die übrigen auf und rannte herbei. Während
die andern ihm nacheilten, warf er den schon oben stehenden
vordersten Gallier durch einen Stofs mit dem Schilde hinunter,
sodass der Sturz desselben die nächsten mit hinabriss. Manlius
tötete nun auch noch einige andere, die in ihrer Bestürzung die
Waffen wegwarfen und die Felszacken, an denen sie hingen,
mit den Händen umklammerten. Jetzt sammelten sich schon
mehrere um ihn und trieben die Feinde mit Pfeilen und Wurf-