Full text: Gedichtsammlung für die Klassen III - I (Gedichtsammlung, [Schülerband])

Aus dem Nibelungenlied. 
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31. Giselher der junge sah den Schwäher gehn 
mit aufgebund'nem Helme. Wie konnten sie verstehn 
des Helden Meinung anders als treulich und gut? 
Trob ward dem edlen König in seinem Herzen froh zu Mut. 
32. Giselher der Held sprach: „Solcher Freunde Art 
preis' ich, die wir gewonnen auf dieser schlimmen Fahrt! 
Wir sollen meines Weibes Freundschaft jetzt ersehn: 
meiner Treue, heil mir, daß diese Heirat jüngst geschehn!" 
33. „Wes Ihr Euch tröstet," sagte der Fiedler, „weiß ich nicht. 
Saht Ihr so viele Helden je nahn aus Friedenspflicht 
mit aufgebund'nem Helme, die Schwerter in der Hand? 
An uns will heut verdienen Rüdeger sich Burg und Land." 
34. Während nun der Fiedler vollendete das Wort, 
sah man vor dem Hause Rüdeger sofort. 
Seinen Schild den guten setzt' er vor den Fuß; 
da mußt' er seinen Freunden den Dienst versagen und den Gruß. 
35. Der Markgraf, der edle, rief da in den Saal: 
„Ihr kühnen Nibelungen, nun wehrt euch allzumal! 
Ich muß den Tod euch bringen statt Leben und Gedeih::! 
Jüngst waren wir noch Freunde: der Treue will ich ledig sein." 
36. Die schwerbedrängten Helden erschreckte dieser Ruf, 
da von ihnen allen es keinem Freude schuf, 
daß sie bekämpfen wollte, dem alle hold und gut. 
Genug gelitten hatten sie von der Feinde Kampfeswut. 
37. „Verhüt' es Gott vom Himmel," sprach Günther unverzagt, 
„daß Ihr an uns der Treue Euch los und ledig sagt 
und bet Gunst und Freundschaft, die wir all' gewollt! 
Des will ich mich versehen, daß Ihr es nie vollbringen sollt." 
38. Der Kühne gab zur Antwort: „Wenden kann ich's nicht; 
mit euch den Kampf gebeut mir meine Eidespsticht. 
Wehrt euch, kühne Helden, für Leben nun und Leib! 
Mir wollt' es nicht erlassen König Etzels stolzes Weib." 
-36. „Ihr widersagt zu spät uns," sprach der König hehr. 
«Mag Euch Gott vergelten, edler Rüdeger, 
die Treue und die Freundschaft, die Ihr uns gezollt, 
wenn Ihr bis zum Ende bei der Treu verharren wollt. 
40. Wir wollen stets vergelten, ich und die Vettern mein. 
Eure Huld, laßt Ihr uns bei Leib und Leben sein. 
Der herrlichen Gaben, da Ihr uns führtet her 
zu Etzels Hunenlande, gedenket, edler Rüdeger!"
	        
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