Full text: Deutsches Lesebuch für die mittleren Klassen von Gymnasien und Realschulen

124 28. Karl der Große als Bildner seines Volkes. 
Frankenlande, und so gründete er sich eine Residenz an den warmen 
Quellen von Aachen. Dort stand er auf der Stätte, die er selbst 
gewählt hatte, und bezeichnete selbst seiner Stadt die Straßen und 
Plätze, den Mauerbezirk und die Stelle des Rathhauses für den 
Senat. Die Scharen der Arbeiter zogen heran, sie bauten das 
große Gotteshaus und den Palast, sie hieben rohes Gestein zu 
Säulen, gruben den Hafen, legten Grund zum Platz für Kampf¬ 
spiele und deckten die Halle mit hohem Balkendache. Andre singen 
das Wasser der warmen Quellen ein, faßten sie schön mit Mar¬ 
mor, formten die Sitze für die Badenden und leiteten Wasser in 
alle Theile der Stadt; die Lastwagen rollten, Hammerschlag und 
emsige Arbeit tönten, die Gegend summte wie von ungeheurem 
Bienenschwärme. Auf dem Platze des Palastes aber stellte Karl 
das eherne Reiterbild des großen Ostgothen Theodorich auf, das 
er von Ravenna weggeführt hatte. 
Die Blüte des Hofes, Edle und Gelehrte, Lehrer oder frühere 
Schüler der Hofschule bildeten einen vertrauten Kreis, in dem sich 
der König mit seinen Kindern am freudigsten bewegte; denn diese 
Vertrauten standen mit der königlichen Familie \n einem zwang¬ 
losen poetischen Vereine zu geselliger Förderung in Wissen und 
Kunst, der allerdings mit späteren Akademien wenig gemein hat. 
Jeder erhielt darin einen oder mehrere Beinamen, nach einem 
Brauche, den Alkuin aus der Schule von Uork mitgebracht hatte. 
Schon unter den Merovingern war ein Ceremoniel des Hofes 
ausgebildet, auf Rang und Hofwürde wurde eifrig gehalten. Aber 
zwischen den reichgekleideten Hofleuten standen priesterliche Gelehrte 
in der weißen Dalmatiea; angelsächsische Mönche in der Tracht 
des heiligen Benedict, dunkle Schottenmönche aus Irland, bar- 
beinig mit rohen Ledersandalen. Die Ankommenden empfing der 
Oberkämmerer Meginfried, für den Tagesverkehr des Hofes der 
erste Würdenträger, ein kluger, gewandter Herr mit kahlem Scheitel, 
den noch spärlich das röthliche Kraushaar umgab. Immer zum 
Herrendienst bereit, eifrig und behend, hörte er die Worte der Bitten¬ 
den, hier überging er, dort neigte er freundlich sein Ohr, er lud 
zum Eintritt, er empfahl zu warten, leise und in Ehrfurcht that 
er seine Pflicht und stand beim Empfange unverdrossen am könig¬ 
lichen Throne, vorzustellen und der Winke gewärtig. Nächst ihm 
war da der Erzkaplan Hildebold, Bischof von Köln, im vertrauten 
Kreise führte er den Namen Äardn. Freundlich nach allen Seiten 
grüßend, mit frommem Antlitz und treuem Herzen war er gekom¬ 
men, bei der Mahlzeit des Königs Speise und Trank zu segnen.
	        
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