Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberklassen höherer Mädchenschulen

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Gudrun. 
Da sprach Frau Gerlinde: „So ließ ich meinen Zorn: 
Und hättest du mir tausend Linnen auch verlorn, 
Die wollt ich verschmerzen; wohl sollt es dir frommen, 
So du Hartmuten von Normandie dir zum Gemahl genommen.“ 
Die so die Rede hörten, die liefen bald hindann; 
Hartmut dem schnellen ward es kund gethan; 
Es saßen bei ihm viele von seines Vaters Mannen: 
Da bracht ihm einer Kunde, er solle gleich zu Gudrun gehn hindannen. 
Hartmut da sagte beiden Boten Dank; 
Wie fröhlich der Degen von dem Sitze sprang! 
Er wähnte, Gott hab ihm beschieden hohe Minne. 
Zu der Jungfrau Kammer ging er hin mit freudenreichem Sinne. 
Da sprach sie: „Nicht doch, Hartmut, laßt das noch sein! 
Sähen es die Leute, Unehre brächts euch ein: 
Ich bin ein' arme Wäscherin: wie sollt es der gebühren, 
Wollt ein reicher König sie umarmen oder nur berühren?“ 
Zurück, der Zucht gehorchend, trat der junge Mann. 
Er sprach zu Gudrunen: „Jungfrau wohlgethan, 
Geruhst du mich zu minnen, das will ich höchlich lohnen: 
Ich und meine Freunde wollen uns in deinem Dienst nicht schonen.“ 
Da sprach die edle Jungfrau: „Mir wurde nie so wohl; 
Wenn ich Gottverlaßne nun hier gebieten soll, 
So soll mein erst Gebot sein nach langen Arbeiten, 
Eh ich heut schlafen gehe, daß man mir ein schönes Bad bereite. 
„Mein Gebot das andre, das soll dieses sein, 
Daß man alsbald mir bringe meine Mägdelein, 
Wie man sie möge finden unter Gerlinds Frauen: 
In ihrer Stube soll man fürder keine mehr erschauen.“ 
„Das will ich gerne leisten,“ sprach Herr Hartmut. 
Geholt aus dem Gemache ward manche Jungfrau gut. 
In geringen Kleidern und mit gesträubten Haaren 
Gingen sie zu Hofe: bei Gerlind hatten sie viel Leid erfahren. 
Da kamen dreiundsechzig: als Hartmut sie ersah, 
Gudrun die edle mit Züchten sprach sie da: 
„Nun schaut, reicher König, macht es euch wohl Ehre, 
Wie sich die Maide tragen?“ Da sprach der Held: „Ich will es künftig wehren.
	        
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