Marie Gerhardt.
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Sie hört gar leicht des Armen Bitt,
Ist gütig, theilet gerne mit,
Ihr Haus und alles Hausgesind
Ist wol verwahrt vor Schnee und Wind.
Sie schauet wies im Hause steht
Und wie es hie und dort ergeht,
Sie ißt ihr Brot und sagt darbei
Wie so groß Unrecht Faulsein sei.
Sie sitzt und näht, sie würkt mit Fleiß,
Macht Decken nach der Künstler Weis,
Hält sich selbst sauber; weiße Seid
Und Purpur ist ihr schönes Kleid.
Die Söhne, die ihr Gott beschert,
Die halten sie hoch, lieb und wert;
Ihr Mann, der lobt sie spat und früh,
Und preiset selig sich und sie.
Ir Mann ist in der Stadt berühmt,
Vestellt sein Amt, wie sichs geziemt;
Er geht, steht und sitzt oben an,
Und was er thut, ist wolgethan.
Viel Töchter bringen Geld und Gut,
Hind zart an Leib und stolz an Mut;
Du aber, meine Kron und Zier,
Gehst wahrlich ihnen allen für.
Ihr Schmuck ist, daß sie reinlich ist,
Ihr Ehr ist, daß sie ausgerüstt
Mit Fleiße, der gewiß zuletzt
Den, der ihn liebet, hoch ergetzt.
Was hilft der äußerliche Schein?
Was ists doch, schön und lieblich sein?
Ein Weib das Gott liebt, ehrt und scheut,
Das soll man loben weit und breit.
Sie öffnet ihren weisen Mund,
Thut Kindern und Gesinde kund
Des Hbchsten Wort und lehrt sie fein
Fromm, ehrbar und gehorsam sein.
Die Werke die sie hie verrichtt
Sind wie ein schönes helles Licht,
Sie dringen bis zur Himmelspfort
Und werden leuchten hier und dort.
Aus Marie Gerhardt's Hausbibel.
Leitritz: Beiträge zu einer fruchtbaren Behandlung des deutsch-evangel. Kirchen—
es. Berlin 1870. Seite 214 — Wildenhahn: Paul Gerhardt. Leipzig 1845. 2. Teil.
S. 285.
„Am 11. Februar 1655, Sonntag Septuagesimä. Der ehrwürdige Propst
Vehr segnet in meines seligen Vaters Hause den Bund meines Herzens mit
meinem lieben Paul Gerhardt ein. — Freuet euch, seid vollkommen, tröstet
auch, habt einerlei Sinn, seid friedsam, so wird Gott der Liebe und des Friedens
mit euch sein.“ 2. Kor. 13, 11.
Tags darauf Abreise und Einzug in Mittenwalde.
„Unsern Eingang segne Gott!“
„Am 14. Mai 1656. Unser erstes Kind, Maria Elisabeth, wird ge—
boren an meinem eigenen Geburtstage. — Meine Seele erhebt den Herrn und
mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit
seiner Magd angesehen; er hat große Dinge an mir gethan, der da mächtig ist
und deß Name heilig ist. Luc. 1, 46 —49! Ach, wie kann der Herr uns arme
Menschen so unaussprechlich glücklich machen!“