Novelle.
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das Gebirgsland mit dem flachen Lande einen glücklichen Umtausch treffe; er
wußte sie an Ort und Stelle auf die Betriebsamkeit seines Länderkreises auf⸗
merksam zu machen.
Wenn sich nun der Fürst fast ausschließlich in diesen Tagen mit den
Seinigen über diese zudringenden Gegenstände unterhielt, auch besonders mit dem
Finanzminister anhaltend arbeitete, so behielt doch auch der Landjägermeister
sein Recht, auf dessen Vorstellung es unmöglich war, der Versuchung zu wider⸗
stehen, an diesen günstigen Herbsttagen eine schon verschobene Jagd zu unter—
uehmen, sich selbst und den vielen angekommenen Fremden ein eignes und seltnes
Fest zu eröffnen.
Die Fürstin blieb ungern zurück; man hatte sich vorgenommen, weit in
das Gebirg hineinzudringen, um die friedlichen Bewohner der dortigen Wälder
durch einen unerwarteten Kriegszug zu beunruhigen.
Scheidend versäumte der Gemahl nicht, einen Spazierritt vorzuschlagen,
den sie im Geleite Friedrichs, des fürstlichen Oheims, unternehmen sollte; auch
lasse ich, sagte er, dir unsern Honorio als Stall- und Hofjunker, der für alles
sorgen wird; und im Gefolg dieser Worte gab er im Hinabsteigen einem wohl—
gebildeten jungen Mann die nötigen Aufträge, verschwand sodann bald mit
Gästen uud Gefolge.
Die Fürstin, die ihrem Gemahl noch in den Schloßhof hinab mit dem
Schnupftuch nachgewinkt hatte, begab sich in die hintern Zimmer, welche nach
dem Gebirg eine freie Aussicht ließen, die um desto schöner war, als das Schloß
selbst von dem Fuße herauf in einiger Höhe stand, und so vor- als hinterwärts
mannigfaltige bedeutende Ansichten gewährte. Sie fand das treffliche Teleskop
noch in der Stellung, wo man es gestern Abend gelassen hatte, als man, über
Busch, Berg und Waldgipfel die hohen Ruinen der uralten Stammburg betrachtend,
sich unterhielt, die in der Abendbeleuchtung merkwürdig hervortraten, indem als—
dann die größten Licht- und Schattenmassen den deutlichsten Begriff von einem
so ansehnlichen Denkmal alter Zeit verleihen konnten. Auch zeigte sich heute
früh durch die annähernden Gläser recht auffallend die herbstliche Färbung jener
mannigfaltigen Baumarten, die zwischen dem Gemäuer ungehindert und unge—
stört durch lange Jahre emporstrebten. Die schöne Dame richtete jedoch das
Fernrohr etwas tiefer nach einer öden, steinigen Fläche, über welche der Jagd—
zug weggehen mußte; sie erharrte den Augenblick mit Geduld und betrog sich
nicht; denn bei der Klarheit und Vergrößerungsfähigkeit des Instrumentes er—
kannten ihre glänzenden Augen deutlich den Fürsten und den Oberstallmeister;
ja, sie enthielt sich nicht, abermals mit dem Schnupftuche zu winken, als sie ein
augenblickliches Stillhalten und Rückblicken mehr vermutete als gewahr ward.
Fürst Oheim, Friedrich mit Namen, trat sodann, angemeldet, mit seinem
Zeichner herein, der ein großes Portefeuille unter dem Arme trug. Liebe
Cousine sagte der alte rüstige Herr, hier legen wir die Ansichten der Stamm⸗
ix, Lesebuch.
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